Das 5. Keramiksymposium des Künstlerhauses 188 e.V. stellte wieder einmal einen kleinen, aber ausgewiesenen Kreis der internationalen Keramikszene in Halle vor. Eine Reihe bekannter KünstlerInnen hatten die Einladung, am Hallenser Symposium teilzunehmen, angenommen: Heidi Preuss Grew aus den Vereinigten Staaten, Valda Podkalne aus Lettland, Marianne Eggimann aus der Schweiz, Anton Reijnders aus den Niederlanden und Maria Kuczynska aus Polen. Dazu kommen die deutschen TeilnehmerInnen Reneé Reichenbach und Johannes Nagel aus Halle sowie die beiden künstlerischen Leiterinnen des Symposiums Maria-Petra Ondrej und Heinke Binder aus Leipzig. Die künstlerischen Leiter entscheiden nach Recherche und in Absprache mit der Geschäftsleitung des Hauses über die Einladungen; sie bestimmen letzten Endes das Profil des jeweiligen Symposiums und setzen den thematischen Schwerpunkt, wobei entsprechend den geltenden Förderbedingungen verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind: Es muss eine gute Mischung aus lokalen, regionalen und internationalen TeilnehmerInnen erreicht werden, wobei gleichzeitig die Nachwuchsförderung als auch das Ansehen des Symposiums durch die Teilname international bekannter KünstlerInnen gewährleistet sein muss. Auch sollten in regelmäßigen Abständen KeramikerInnen aus Ost- und Westeuropa, aber auch von den unterschiedlichen Kontinenten vertreten sein, was mit der Teilnahme von Gästen aus Asien und Amerika auch regelmäßig gelingt. So entsteht jedes Mal eine spannende Mischung. Das Thema sollte wiederum nicht zu eng abgesteckt sein, um die Teilnahme unterschiedlichster KünstlerInnen zu ermöglichen. Die künstlerischen Leiter kommen vorzugsweise aus dem Raum Halle-Leipzig, da sie bereits rechtzeitig vor dem Beginn die technischen Gegebenheiten prüfen und gegebenenfalls für Verbesserungen sorgen müssen.
Die zur Verfügung stehende Zeit ist – wenn man bedenkt, wie aufwändig keramische Arbeit häufig ist - äußerst eng bemessen. Den TeilnehmerInnen wird also Konzentration und gute Vorbereitung abverlangt. Die künstlerischen Leiter, die sich um die gesamte Organisation und technische Betreuung kümmern, sind selbst oft sogar gezwungen, auf bereits existierende Arbeiten zurückzugreifen, da sie – zu Gunsten der Gäste und in Anbetracht der begrenzten technischen Kapazitäten – die eigene künstlerische Arbeit zurückstellen müssen. In der Regel reisen die TeilnehmerInnen mit einer klaren Vorstellung von dem an, was sie arbeiten möchten. Sie haben Fotos (Marianne Eggimann), Skizzen (Heidi Preuss Grew) oder sogar kleine Modelle (Anton Reijnders) dabei, mittels derer sie sich Zuhause bereits auf die Arbeit vorbereitet haben. Hier in Halle gilt es dann, sich sofort in die neuen Arbeitsumstände einzufinden und unbeirrt anzufangen, wobei oft auch die neuen Eindrücke hier vor Ort in das Geplante integriert werden und so die Ausgangsidee modifizieren. In der Regel begegnen sich die teilnehmenden KollegInnen im Laufe der Jahre immer mal wieder auf Symposien oder bei Ausstellungen, so dass manchmal bereits persönliche Kontakte bestehen. Noch öfter allerdings kennt man die Arbeiten der anderen schon aus Zeitschriften, dem Internet oder von Ausstellungen. So wird nicht nur die Arbeit, sondern auch das Gespräch sofort aufgenommen und der gedankliche Austausch fortgesetzt. Dies ist – neben der praktischen Arbeit – ein wesentliches Anliegen des Hallenser Symposiums: Den Kontakt und geistigen Austausch zwischen KünstlerInnen zu fördern und so neue bzw. zusätzliche Möglichkeiten für die hier ansässigen KünstlerInnen zu eröffnen. Neben der künstlerischen Arbeit, durch die man ganz selbstverständlich ins Gespräch kommt, stellen alle TeilnehmerInnen ihre Werke in Abend-Vorträgen vor, zu denen auch die nicht teilnehmenden Hallenser KollegInnen eingeladen sind. Durch diesen intensiven Austausch ergeben sich für alle, also auch für die hiesigen KeramikerInnen neue Möglichkeiten, später selbst einmal in andere Städte oder Länder eingeladen zu werden, Stipendien zu beantragen oder – allein oder gemeinsam – neue Projekte zu planen. So entwickeln sich durch die Arbeit jahrelange Kontakte, die auch dem hiesigen Symposium ein andermal wieder zugute kommen.
Ausgewählt wurden dieses Jahr KünstlerInnen, die vor allem für freie plastische Arbeiten bekannt sind. Die Spanne reicht dabei von figürlichen bis zu konzeptuellen Arbeiten. In der abschließenden Ausstellung manifestierten sich vier Tendenzen zeitgenössischer Keramik, wobei die Übergänge selbstverständlich fließend sind: Eine realistisch-figürliche, eine symbolistisch-figürliche, eine abstrakt-surreale sowie eine räumlich-strukturelle. (Selbstverständlich ließen sich einige der teilnehmenden KünstlerInnen auch in andere Strömungen der Keramikszene einordnen, so beispielsweise, wenn man die Arbeiten streng unter dem Aspekt der jeweiligen Materialauffassung betrachtet würde.)
Die realistisch-figürliche Richtung wurde ganz offensichtlich von Heidi Preuss Grew, Marianne Eggimann und Heinke Binder vertreten, wobei sich die Arbeiten dieser Künstlerinnen gleichzeitig zum Teil diametral gegenüberstanden. Während die beiden Erstgenannten miniaturartige feinste Porzellanarbeiten herstellen, strotzen Heinke Binders Büsten stolz in ihrer Monumentalität. Marianne Eggimann und Heidi Preuss Grew ist nicht nur Filigranität und Material gemeinsam, sondern auch ihr schwarzer Humor, der sich in manchen ihrer Werke spiegelte. Die unterschiedlich stark verfremdeten Figuren zeigen unscheinbare Alltagsszenen, die beim zweiten Hinsehen aber irritieren, befremden, wenn nicht sogar verstören konnten. Prothesen-artige Untersätze (Eggimann) bzw. tierisch oder satyrhaft anmutende Gesichter (Preuss Grew) dienen der Brechung des scheinbar Perfekten, für das traditionellerweise gerade auch das Material Porzellan bekannt ist, und weisen auf gesellschaftliche Probleme und Absurditäten hin. Selbst Wirkliches kann so bei Marianne Eggimann unwirklich erscheinen und man glaubt es erst, wenn man die Foto-Vorlage gesehen hat. Heidi Preuss Grew arbeitete nicht nur plastisch, sondern produzierte in Halle auch ihre porcelain paintings, in denen sich minimalste lineare Reliefstrukturen mit hinein gewischten farbigen Glasuren zu Aquarelleffekten verbinden.
Heinke Binders Herangehensweise erinnerte dagegen an die eines Plastikers, um nicht zu sagen Bildhauers. In ihren Arbeiten verknüpft sich das Interesse an der menschlichen Figur mit der Freude an kraftvollen Mythen und Sagen, denn die Büsten können die vier Winde ebenso verkörpern wie die vier Temperamente oder Jahreszeiten – allesamt Dinge, die das Leben des Menschen elementar beeinflussen und zur Auseinandersetzung zwingen.
Stärker abstrahiert und quasi „symbolistisch“ sind die Arbeiten von Valda Podkalne und Marianne Kuczynska. Der Symbolismus stach besonders in der „Anhaftung“ von Valda Podkalne hervor. Die Köpfe sind mit gewichtartigen Stücken verbunden, welche Sorgen und Probleme verkörpern, wie sie jeder Mensch mit sich herumträgt. Verworfenes symbolisieren die porzellanenen geknüllten Papiere, aber die noch kommenden, heiteren Gedanken erscheinen schließlich in Gestalt der leichten, blauen Wölkchen darüber.
Marianne Kuczynskas Werke offenbaren eine starke Bindung an die Tradition figürlicher Plastik, wobei insbesondere die Torsi mit ihren Gewandfalten an antike Skulpturen erinnern. Statische Klarheit liegt hier im Widerstreit mit zerklüfteten und fragilen Partien. Die strengen, aus teilweise hauchdünn ausgewalzten keramischen Platten zusammengesetzten Figuren strahlen klassische Würde aus und künden von menschlicher Kraft und Erfahrung, Freude und Leid.
Eine zunehmend abstrakt-surreale Richtung vertreten dagegen Renée Reichenbach, Anton Reijnders und Johannes Nagel, die unter anderem mit der ambivalenten Bedeutung von Objekten spielen. Sie erschaffen neue Formen, die an konkrete, uns bekannte Gegenstände erinnern. Wie, wenn man ein Wort schon auf der Zunge liegen hat, aber nicht darauf kommt, so glaubt man, den Gegenstand gleich erkennen und benennen zu können, bleibt aber im Grübeln stecken. Dieser Zustand wird von Anton Reijnders immer wieder bewusst hervorgerufen und gibt einer Serie seiner Arbeiten deshalb auch den Namen: „Nomen nescio“ – „Ich kenne den Namen nicht“. Anton Reijnders möchte die Bedeutung von Objekten durch Reduktion und Abstraktion verschieben oder potenzieren, um so der Interpretation größtmöglichen Spielraum zu geben.
Dieses Spiel mit der Mehrdeutigkeit von Objekten reizt auch Johannes Nagel, der - anknüpfend an seine vor wenigen Wochen vorgelegte Diplomarbeit zu den vertrauten Formen archetypischer Vasen - sich während des Symposiums durch den kleinen Sandberg im Hof des Künstlerhauses grub. Seinen Formvorstellungen folgend, musste er sich dabei einzig auf seinen Tastsinn verlassen, ohne die gegrabenen Formen optisch überprüfen zu können. Die so entstandenen Hohlräume wurden mit Gips ausgegossen, den ausgegrabenen Stücken haftet der Sand noch an und verleiht ihnen ein eigenartig raues, fast korrodiertes Aussehen. Wie ein Archäologe in der Erde Unbekanntes entdeckt, erschafft sich Johannes Nagel seine Ausgrabungsstücke selbst, die zwischen menschlichen Artefakten und natürlichem Wurzelwerk changieren und sich nicht eindeutig in ihrer Bedeutung festlegen lassen.
Die Fähigkeit, bewusst mit der Spannung, die sich aus assoziativer Vieldeutigkeit ergibt, zu arbeiten, ist auch ein besonderes Charakteristikum Renée Reichenbachs. Ihr Japanaufenthalt Anfang des Jahres führte zur Weiterentwicklung ihrer typischen Formen und es entstanden schwertähnliche Artefakte, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Teilstücken: kurze und lange, dicke und dünne, offene und geschlossene, im Querschnitt kreisrund, oval, vier- oder fünfeckig. Hier offenbart sich die spielerische Freude Renée Reichenbachs, die mit sicherem Gespür überzeugend schöne Formen herstellt, deren elegante Schwünge einmal mehr an Schwerter und Schwertzierate, schmale Fische und Boote oder an geschwungene asiatische Dachgiebel denken lassen. Es sind souverän beherrschte, phantasievolle Proportionsstudien, mittels derer uns die Künstlerin leichthändig vor Augen führt, welche unendlichen Möglichkeiten es gibt, mit einfachsten Mitteln Mannigfaltigkeit und Exklusivität herzustellen.
Anton Reijnders, der seine Objekte auch in größeren Environments zu abstrakten, mitunter poetischen Landschaften komponiert, ließe sich auch der Richtung zuordnen, die Raumstrukturen schafft und die hier von vor allem Maria-Petra Ondrej vertreten wird. Seit Jahren beschäftigt sich die Künstlerin mit Kunst im öffentlichen Raum bzw. der Inszenierung von Innenräumen. So reflektiert ihr bühnenbildartiger Raum Porzellan-Installationen, die sie für reale Orte geschaffen hat. Die Luftaufnahme einer nordafrikanischen Stadt mit ihrer spezifischen Mischung aus kubischen Häuserkomplexen und Innenhöfen, ihrer aus Lehm erschaffenen Struktur regte sie zur Umsetzung in Keramik an. Die an ein Modell erinnernde Arbeit könnte für Maria-Petra Ondrej der Auftakt zu einer Auseinandersetzung mit Architektur und Städtebau, mit den unterschiedlichen Strukturen menschlicher Behausung und der Veränderung der Erdoberfläche durch menschliche Bebauung sein.
Dass Heid Preuss Grew – in Erinnerung an ihren vorangegangen Aufenthalt in Römhild und auf Grund ihre Beobachtung des grabenden Johannes Nagel - eine Porzellanplatte mit einem Grabenden darauf herstellte, war nur einer der einfachsten produktiven Anstöße, die dieses Symposium seinen Teilnehmern immer wieder gibt. In jedem Fall erfreut sich Halle unter KeramikerInnen eines guten Rufs. Die Keramikklasse der Burg Giebichenstein übte seit nunmehr über 90 Jahren bestimmenden Einfluss auf die Keramik in Deutschland aus. Viele ihrer AbsolventInnen lassen sich in Halle als freischaffende KünstlerInnen nieder. Es gibt somit überdurchschnittlich viele KeramikerInnen in Halle. Seit 1999 veranstaltet das Künstlerhaus 188 seine Keramiksymposien, die mittlerweile eine feste Institution sind. (Römhild hat in diesem Jahr zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder ein Keramiksymposium organisiert.) Dazu kommen im Künstlerhaus regelmäßige Keramikausstellungen, in die sich auch der Versuch, eine Biennale zu installieren, einordnet – nachdem dieses Unternehmen in Magdeburg nicht mehr fortgesetzt wurde. Mit dem von Hallenser KeramikerInnen in Eigenregie gegründeten Forum für zeitgenössische Keramik, das auch überregional wahrgenommen wird, festigt sich Halles einzigartiger Ruf als Zentrum für Keramik in Deutschland. Es ist das Anliegen des Künstlerhauses 188 e.V., dieser spezifischen Ausrichtung Hallescher Kunst ein Forum zu bieten.
Die fünf Symposien mit jeweils neun TeilnehmerInnen haben die Stadt Halle und das Land Sachsen-Anhalt aber nicht nur ideell bereichert, sondern sie tun dies auch ganz konkret: Als Ausgleich für die finanzielle Förderung geben alle KeramikerInnen jeweils ein hier entstandenes Objekt in die Sammlung der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, die somit kontinuierlich ihre Sammlung zeitgenössischer Keramik mit Werken internationaler KünstlerInnen bereichert. Es ist also kein einseitiges Nehmen bzw. Geben, sondern gegenseitige und nachhaltige Bereicherung, die hier praktiziert wird.
Nach zehn Jahren hat sich das Keramiksymposium in Halle etabliert. Nun gilt es, zukünftig an seiner inhaltlichen Ausrichtung und Profilierung als auch an seiner finanziellen Ausstattung und seinen technischen Möglichkeiten zu arbeiten. – Eine Aufgabe, die weiterhin vieler engagierter Partner und verstärkter Mobilisierung der Kräfte bedarf.