Ute Großmann, Grüne Felder II, 2006
„Drei-Felder-Wirtschaft“, „Winter“, „Behäbig“, „Tücher“, „Sprudelnd“, „Herbst“ und „Buntglasfenster“ - selbst die Vasen der Dresdner Keramikerin Ute Großmann haben Namen und zeugen von der unendlichen Fabulierlust ihrer Schöpferin. Das, was sofort auffällt, wenn man sich einen Überblick über ihr bereits umfangreiches Werk verschafft, ist die außergewöhnliche Farbigkeit ihrer Arbeiten. Eine Vase wie „Blaugrün“ verrät das Thema schon im Titel: Zahlreiche Blau- und Grünnuancen wechseln mit grauen unregelmäßigen, rechteckigen Flächen und überziehen das Gefäß wie mit einem Netz. Innerhalb einer Fläche wiederum changiert der Farbton oder wird mit sparsamen Rottönen kontrastiert. Die Konzentration von Farbtönen betont mal den warmen, mal den kühlen Charakter. Eine Vase wie „Drei-Felder-Wirtschaft“ widmet sich dagegen dem unerschöpflichen Reichtum von Rot- und Brauntönen, die in feinsten Abstufungen das Gefäß komplett überziehen, wobei jeder Farbton wieder eine Rechteck ausfüllt. Mal ballen sich die dunkleren Nuancen, die von hellen, lichten Akzenten kontrastiert werden.
Ute Großmann baut ihre Gefäße aus Platten auf. Trotz ihrer Körperlichkeit sind sie durch eine spezielle Flächigkeit charakterisiert. In bestimmten Ansichten suggerieren viele der Gefäße eine Rundung und Voluminosität, die ihnen gar nicht zu eigen ist - hier zeigt sich ein augenzwinkernder Illusionismus. Die bewusste Unregelmäßigkeit und scheinbare Unbeholfenheit mancher Form verleihen den Körpern besondere Lebendigkeit. Die Struktur mancher Wandung stellt Ute Großmann durch Abdrücke von Oberflächen her, von denen sich die Künstlerin einen Abguss-Fundus angelegt hat. So trägt die Vase „Buntglasfenster“ nicht nur wegen ihrer besonders reichen Farbigkeit diesen Namen, sondern weil ihre Wandung ein Abdruck der - besonders in den 60er und 70er Jahren beliebten - Buntglasfenster-Struktur ist. Diese Vorliebe für die Fläche korrespondiert mit ihrer Freude an der Farbe. Der Wunsch, einen speziellen Farbklang oder eine Farbstimmung zu erzeugen, ist dann auch oft der anregende Ausgangspunkt der Arbeit.
Wenn die Platten nicht bereits vorher mit einer Struktur versehen wurden, erhalten sie diese nach dem ersten Brand. Mit Flüssigwachs wird die Oberfläche in Rechtecke, Dreiecke, Streifen oder Kreise gegliedert, die anschließend in einem aufwändigen Arbeitsgang mit Unterglasurfarben und eingefärbten lasierenden Glasuren koloriert werden. Entweder wird dafür von der Künstlerin eine Palette mit fein abgestuften Tönen angemischt oder die lasierenden Glasuren werden in mehreren Schichten übereinander aufgetragen - ein Verfahren, das der Lasurmalerei verwandt ist. Die unterschiedliche Dicke der jeweiligen Glasurschicht führt zu einer unterschiedlichen Konzentration von Farbpigmenten, was den Oberflächen besondere Lebendigkeit verleiht. Ausgehend von dem Farbton einer Partie wird dieser vertieft: Es enstehen „Farbfamilien“, die sich über den Körper ausbreiten, die akzentuiert oder aber durch das Setzen von Lichtern kontrastiert werden. Ute Großmann möchte mit ihren Farbstimmungen Melodien erzeugen. Das von ihr verwendete äußerst differenzierte Farbspektrum, das sich mitunter in kleinsten Feldern über die Fläche ausbreitet, macht diese Keramiken einzigartig.
Ute Großmann arbeitet zur Zeit ausschließlich mit der Raku-Technik, wobei ihr das dabei entstehende Rissnetz weniger wichtig ist als die Steigerung der Farbe durch den Reduktionsvorgang. Allerdings legen sich die Risse als wichtiges grafisches Element über die farbigen Flächen. Die Farbigkeit erzeugt dabei die Stimmung, die grafische Struktur quasi eine Art Erzählung. In dieser speziellen Verbindung erinnern besonders die ausgesprochen farbigen Gefäße, die in Streifen oder Rechtecke unterteilt sind, an Arbeiten Paul Klees. Um sich prägnant unterscheiden zu können, brauchen Farben die Form. Die grafische Gliederung, die in vielen Arbeiten der Künstlerin anzutreffen ist, garantiert eine einfache Art der Unterscheidung, die auf den Reichtum der Farbnuancen als der Hauptsache hinweist. Ein solches Verfahren ist tatsächlich in einer ganzen Reihen von Arbeiten aus Paul Klees Bauhauszeit anzutreffen: Methodische Untersuchungen von Farbwirkungen, die gleichzeitig von großem malerischen Reiz und Hintergrund für „grafische Erzählungen“ sind. In letzter Zeit entstand auch eine Gruppe von Gefäßen, die nicht mehr vollständig mit Strukturen und Farben bedeckt sind. Die farbige Musterung nimmt nur noch den kleineren Teil, zumeist den Hals, des Gefäßes ein, so dass der Raku-Effekt mit seinen kräftigen schwarzen, weichen Linien und Flächen dominiert. Ähnlich einer weiblichen Aktfigur, die eine Halskette trägt und dadurch ihre Nackheit betont, steigert die sparsam eingesetzte Farbigkeit die rakutypische Oberfläche, die wiederum die Kostbarkeit des farbigen Details erhöht. Die kunstvolle Unregelmäßigkeit des Körpers, die dem Gefäß Lebendigkeit verleiht, steht dabei nicht im Gegensatz zu der leicht humoristischen Wirkung, die ein Gefäß wie „Behäbig“ durch die kleinen Füße und die typisch Großmannschen ausgeschnittenen Ohrenhenkel charakterisiert. All diese Details gehen eine einmalige, unverwechselbare Verbindung ein, die das Werk Ute Großmanns auszeichnet.
Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie einige dieser Gefäß-Persönlichkeiten zu Leben erweckt werden und ihr koboldhaftes Unwesen treiben.
So deutet sich in diesen Vasen bereits eine Vorliebe für das Erzählerische an, die in den figürlichen Arbeiten Ute Großmanns konsequent ihren Ausdruck findet. „Wenn man etwas erzählen möchte, das mehr Detailreichtum hat, dann muss man Flagge zeigen und figürlich werden.“ Und so entstehen neben den Gefäßen immer wieder Figuren, die ebenfalls in der beschriebenen Kombination von Raku und Unterglasurmalerei entstehen. Die gewollte scherenschnittartige und geradezu unplastische Wirkung von Plastiken wie „Spätherbst“, „Sommer“, „Sächsische Baumnymphe“ oder „Lob der Langsamkeit“ wird gezielt mit dem Überraschungseffekt gekontert, dass sie über eine ebenso sorgsam ausgeführte Rückenansicht verfügen. Größere Figuren werden ganz pragmatisch in Einzelteilen hergestellt, die mittels eines Stecksystems zusammengehalten werden. In den Figuren brechen sich die Freude am Erzählerischen und der Witz nun endgültig Bahn, um von der Schaffenslust und Unvoreingenommenheit der Künstlerin Zeugnis abzulegen und einen unmittelbaren Kontakt zum Betrachter herstellen. Erstaunlich ist der Erfindungsreichtum beim Bearbeiten der Oberflächen: Neben der Verwendung von Abdrücken und Stempeln werden ganze Flächen mit Noppen versehen oder aber hinterlassen die beim Brand schmelzenden Wachspunkte in der Glasur Vertiefungen - manchmal beides auf einem Objekt, so dass ein illusionistischer Effekt entsteht.
Ute Großmanns Arbeit ist von großer Neugierde gekennzeichnet, ihre Produktivität und Frische sind erstaunlich. Innerhalb zweier Jahre entstand eine Unmenge an Vasen und Plastiken, die allesamt von ihrer Freude an der Keramik künden. Es ist die eigene Wissbegierde nach den Möglichkeiten, die Keramik und Glasur bieten, um ihren unerschöpflichen Vorrat an Ideen zu realisieren. Ute Großmann scheut dabei nicht das Risiko, sich in ästhetische Bereiche zu begeben, die eine gängige Kunstkritik als trivial oder populär bezeichnen würde. Sie hat ihre Arbeit noch nicht durch thematische oder ästhetische Vorgaben, die der schnellen und unbedingten Wiedererkennbarkeit auf dem Kunstmarkt dienen, eingeschränkt.
Daneben entstand ein großflächiges Mosaik für einen Kinderspielplatz in Sachsen, für das sämtliche Mosaiksteine in der für sie typischen farbigen Nuancenbreite von ihr selbst produziert wurden. Die Breite ihrer Themen ist ebenso groß wie der von ihr für die Keramik neu entdeckte Farbenreichtum.
Ute Großmann hat einen fulminanten Start als Keramikerin hingelegt. So wurde sie 2004 mit dem Preis der Jury auf der „First Taiwan Ceramic Bienale“ in Taipei ausgezeichnet. Von Haus aus Ingenieurin, entschied sie sich nach einem Lehramtsstudium der Kunsterziehung und Germanistik sowie einem Abendstudium der Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden für den Aufbau einer eigenen Keramik-Werkstatt. Dabei verbindet sie in ihren Arbeiten die Liebe zur Malerei mit den unendlichen Möglichkeiten, die ihr nur die Keramik bietet und entwickelte so eine ganz individuelle Ästhetik der Raku-Keramik. Ute Großmanns Keramiken strahlen Lebensfreude und Kraft aus, die - weit über das ästhetische Erlebnis hinaus - im Leben Mut machen können. Es ist diese Unerschrockenheit, die ihr Werk auszeichnet.