Der Titel des diesjährigen internationalen Keramiksymposiums erschöpft sich nicht im - bedenkenswerten - Doppelsinn. Sondern er fragt auch nach der Position avancierter künstlerischer Keramik in unserer heutigen Welt. Eingeladen waren Nanako Kaji aus Japan und Akashi Murakami aus Frankreich, Ingrid Allik aus Estland, Marianne Nielsen aus Dänemark, David Jones aus Großbritannien sowie Juliane Herden und Judith Runge aus Halle. Zwei weitere Hallenser KeramikerInnen, Renée Reichenbach und Thomas Löber-Buchmann, waren für die künstlerische und technische Leitung verantwortlich. Alle KünstlerInnen eint die Leidenschaft für ihre Arbeit - aber was ist ihnen darüber hinaus gemeinsam? Und was unterscheidet sie?
Die Antworten sind so heterogen wie die Gruppe selbst. Jeder hatte sich auf das Symposium vorbereitet, um die - für zeitintensives keramisches Arbeiten - knapp bemessene Zeit auszunutzen und seine künstlerische Position überzeugend in Halle vorzustellen. Die KünstlerInnen arbeiteten mit Ton und Porzellan, sie brannten im Elektro-Ofen und in der Raku-Technik. Dadurch, dass mehrere KeramikerInnen das gleiche Material nutzen, werden im Rahmen eines solchen Arbeitstreffen die unterschiedlichsten Möglichkeiten vor Augen geführt, die es eröffnet. So verwendeten alle Limoge-Porzellan - ein Weichporzellan, das sich durch besondere Eigenschaften auszeichnet: Seine weiße Farbe ist einmalig und ermöglicht hellere Engoben, als sie mit Ton herstellbar sind. Es ist ein sehr plastisches Material, dessen Formungs-Eigenschaften denen des Tons nahe kommen. So ist es sehr gut verdrehbar und selbst dünnste Porzellanschichten lassen sich dauerhaft damit verbinden. Während Renée Reichenbach, Thomas Löber-Buchmann und Judith Runge mit Porzellan-Engoben arbeiteten und Ingrid Allik daraus kleine Teile frei formte, verwendete David Jones das Limoge-Porzellan zum Drehen von Gefäßen. Akashi Murakami dagegen goss aus der flüssigen Porzellanmasse Abformungen und Nanako Kaji baute aus vom Block geschnittenen Stücken freiplastische Arbeiten. Dabei lotete sie die Plastizität und Struktur des Materials bis in die Extreme aus: Sie schnitt, formte, glättete oder dehnte es bis zum Aufreißen. Ihr Experimentieren bringt die materialimmanenten Spannungen zum Vorschein. Ergebnis ihrer Arbeit sind quasi geologische Strukturen: Muschelbrüche, Splitterflächen, abrupte Abrisse kontrastieren mit runden und weichen Formen, wie sie das Wasser an Steinen hervorbringt. Nanako Kajis Stücke erinnern mitunter auch an Knochen, an die mineralische Seite des Organischen. So entstehen nur scheinbar amorphe Gebilde, in denen bisweilen filigran verästelte mit wuchtigen Stücken montiert sind und die an eine Natur erinnern, die zwischen organisch und anorganisch keinen Unterschied macht.
Akashi Murakamis Abformungen von Holzstücken, Teilen der belebten Natur, eignet eine irritierende Ambivalenz: In der genauen Nachformung des Organischen scheint sich eine Verehrung der Natur als einer vollkommenen zu manifestieren, aber ihre Vervielfältigung schafft identische Formen, wie sie in der Natur nicht anzutreffen sind. Manchmal erscheinen sie - obwohl genaue Abgüsse von Holz - nicht mehr als das, was sie sind, denn sie erinnern an Tiere. In Gruppen angeordnet und Schatten werfend, gleichen sie Blättern oder Schwärmen von Fischen und Vögeln, elegant dahinschwebend und wundersam leicht bewegt.
Ganz anders dagegen bezieht Marianne Nielsen die Natur in ihre Arbeit ein. Sie entwickelt, angeregt von Bergen oder Bäumen, perfekte Bilder. Piktogrammartig stellt sie drei verschiedene Baumarten dar, die gleichzeitig aber auch Gefäße sind. Es ist das Anliegen der Künstlerin, die natürliche in eine schlichte Form zu transformieren. Sie produziert nicht nur Bäume, sondern gleichzeitig auch abstrahierte, allgemeine Bilder von Bäumen. Marianne Nielsen bemüht sich dabei um eine perfekte Harmonie der Einzelformen, aus denen die Gesamtform resultiert. Die Perfektion der glänzend glasierten Bäume wird sehr diskret durch Reste von Strukturen und durch die feine Porosität der Fayenceglasur gemildert und individualisiert.
Ingrid Alliks Arbeiten schöpfen oft unmittelbarer als die der anderen aus biografischen Bezügen und Erinnerungen, wobei die Disparatheit der Eindrücke eine große Vielfalt an Ausdrucksformen bedingt. Das eigene Leben veranlasst sie zur Produktion mehrteiliger Arrangements, für die sie ein breites Spektrum an keramischen Techniken und vielfältige Formen verwendet. Partiell werden von ihr auch andere als keramische Materialien eingesetzt. So entstehen Tableaus mit rätselhaftem, allegorischen Charakter. Ihre Arbeit strahlt eine melancholische Poesie aus: Röhrenartige, aufrecht stehende Formen wurden mit vielen kleinteiligen, lose verstreuten Gebilden kombiniert. Es sind undefinierbare organische Bestandteile, Wurzeln und Käfer, die unter der Erde ruhen. Die Röhren tragen eine Glasplatte, auf der weiße Blütenblätter aus Porzellan sparsam verstreut sind.
David Jones arbeitet fast ausschließlich in der Raku-Technik, einer Brenntechnik mit langer Tradition, die ihn in ihrer Komplexität und Gleichnishaftigkeit zu philosophischen Gedankengängen motiviert, die er mit großer Eloquenz zu referieren versteht. Es entstehen antik anmutende, schlichte Formen mit präzisen, harten Rändern - wie gedrungene Amphoren, die nur mittels einer Halterung stehen können. Typisch sind für ihn die matt schimmernden schwarzen Oberflächen, in die vereinzelt feine Linien und größere Schnitte eingefügt wurden. Partiell sind die Körper mit einer silbrig-goldenen dünnen Glasur überzogen. David Jones präsentiert seine quasi künstlerischen Forschungen bevorzugt in dramaturgisch inszenierten Installationen, um die Komplexität und Vielschichtigkeit seiner Intentionen zu veranschaulichen.
Für Renée Reichenbach besitzt das Gefäß eine besondere Bedeutung. Es ist der Ausgangspunkt ihrer Arbeit, die Grundform, die sie immer wieder zur freien Gestaltung anregt. Die Künstlerin baut ihre Werke aus Ton-Platten, in die zumeist drei- oder viereckige hauchdünn ausgewalzte Schnipsel eingefärbten Porzellans oder verschiedenfarbiger Tone intarsienartig eingearbeitet werden. Zusätzliche Ritzungen oder kleine geprägte Flächen sorgen dafür, dass die Rhythmen bei aller Nuanciertheit spannungsvoll und markant bleiben. Diese Platten werden mittels Einlegen in eine Form zu Schalen geformt, wobei Form und Oberfläche überzeugend eine stimmige Einheit bilden. Die farbliche und strukturelle Differenziertheit ihrer Keramiken ist beeindruckend und sucht ihresgleichen.
Thomas Löber-Buchmann produziert neben seinen freiplastischen Arbeiten ein ausgesprochen exquisites Gebrauchsgeschirr. Fester Bestandteil seines Repertoires sind einfache, spiegelglatt glasierte Tabletts von asiatischer Schlichtheit. Der leicht erhöhte Rand spannt die viereckige Fläche gleich einem Rahmen ein. Die kleinen quadratischen Füße erhöhen die Eleganz zusätzlich. Die Farbigkeit umfasst zumeist ein breites Spektrum von Grau-Tönen, Akzente werden sparsam mit Grün-, Rot- oder Blautönen gesetzt. Durch ein spezielles, von ihm entwickeltes Druckverfahren überträgt Thomas Löber-Buchmann Brieffragmente oder Schriftzeichen auf das Tablett. Diese Rapporte werden partiell mit weiteren Streifen- oder Rautenmustern überzogen, so dass spannungsvoll grafisch differenzierte und monochrome Flächen miteinander harmonieren.
Nachdem Judith Runge sich in den letzten Jahren mit gesellschaftlich relevanten Themen wie der Gentechnik auseinandersetzte, verspürt sie seit einiger Zeit den Wunsch, spielerisch mit Themen und Material umzugehen. Mit leiser Ironie entwirft sie hier Spielzeug von filigraner Schönheit. Die Künstlerin schafft originäre runde und weiche Formen von seltsamer Widersprüchlichkeit: Sie erinnern an Püppchen, Beißringe oder Autos aus Samt und Gummi, gleichzeitig könnte es sich aber ebenso um vergrößerte Modelle zur Veranschaulichung von Kleinstlebewesen - wie etwa Süßwasserpolypen - handeln. Die fein strukturierten und monochromen Oberflächen werden von der Künstlerin in geduldiger Arbeit mit einer feinen Punktierung oder winzigen Noppen überzogen. Gleich Handschmeichlern locken sie zur Berührung und überraschen, weil sie sich bei weitem nicht so weich und nachgiebig anfühlen, wie sie aussehen.
Juliane Herden interessiert die Spannung, die sich aus dem Rauen und Unebenen ergibt. Ungleichmäßigkeit und Defekte entbehren für sie nicht der Schönheit. Sie entwickelte ihr Objekt aus ihren kraftvollen, schrundigen Landschaften. Diese zeichnen sich durch eine nuancierte Oberflächenstruktur und -farbigkeit aus, die durch die beim Holzofenbrand entstehende Patina noch verstärkt wird. Relativ regelmäßig geprägte Partien werden stellenweise von wunderbar grafischen Strukturen überlagert, die an Grafitschraffuren erinnern. Diese Arbeiten bieten gleichzeitig Fern- und Nahansichten - wie eine Gebirgslandschaft, die unversehens in die Ansicht einzelner Gräser und Steine umschlägt.
Das heterogone Bild klärt sich etwas, sieht man die Beiträge des Symposiums unter einigenden Aspekten: So verdanken mehrere TeilnehmerInnen viel der fernöstlichen, besonders der japanischen Keramiktradition, wie sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der westlichen Welt bekannt ist, so zum Beispiel das Verständnis der Oberflächenbehandlung oder der Form bei Renée Reichenbach und Thomas Löber-Buchmann oder aber der sehr direkte Bezug zur Raku-Technik bei David Jones. Im Gegensatz dazu erinnern die Arbeiten der beiden japanischen Künstlerinnen Nanako Kaji und Akashi Murakami zunächst wenig an traditionelle japanische Keramik - wäre da nicht ihr Verständnis von Natur: Das Bestreben, das Material es selbst sein zu lassen bei Nanako Kaji - die Achtung vor einmal gewachsenen Naturformen, die der Mensch nachbilden und verfremden, aber nicht übertreffen kann, bei Akashi Murakami.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Verwandlung und Verfremdung des Vertrauten: Sei es die bekannter Formen zu zeichenhaften Gebilden, wie bei Marianne Nielsen, von Gegenständen persönlicher Erinnerung bei Ingrid Allik oder natürlich gewachsenen Holzstücken bei Akashi Murakami.
Ein dritter Aspekt besteht im spezifischen Verhältnis zur großen Form - hier offenbaren sich die vielleicht größten Extreme: Beinahe schon klassische Formbewusstheit bei Renée Reichenbach, Thomas Löber-Buchmann, Marianne Nielsen und David Jones steht neben dem Formenspiel Judith Runges und der Formenvielfalt Ingrid Alliks, neben der scheinbaren Formlosigkeit bei Nanako Kaji und Juliane Herden sowie der Beschränkung auf vorgefundene Naturformen bei Akashi Murakami.
Das diesjährige Symposium belegt erneut, wie fruchtbar und notwendig die gemeinsame Arbeit von KünstlerInnen verschiedenster Traditionen mit häufig gegensätzlichen Konzepten ist: In solchen kurzen, glücklichen Momenten wird Kunst zur Weltsprache.