Cornelia Weihe, Heide, 2004
Ausstellungsräume, die Arbeiten Cornelia Weihes beherbergen, atmen Weite und Großzügigkeit. Plastiken und Malereien füllen sie mühelos, verschaffen das Gefühl von Aufatmenkönnen, von Leichtigkeit und Entgrenzung. Auf der einen Seite zentnerschwere, aber leicht wirkende Plastiken, auf der anderen kraftvolle Ölmalereien.
Es ist die Leichtigkeit ihrer jüngsten Plastiken, die einen beim Betrachten als Erstes gefangennimmt. Der Wind scheint diese Stücke im Raum verstreut zu haben: eine Blüte, ein Zweig, ein Samen – auf den ersten Blick erinnern sie nicht daran, dass sie in schwerer körperlicher Arbeit entstanden sind. Selbstverständlich und leicht nehmen sie ihren Platz ein.
Die Dreiergruppe „Wachstum“ führte erstmals pflanzliche Motive in ihre Arbeit als Metallgestalterin ein. Die Körper erscheinen – ihrer Größe und Schwere zum Trotz – so, als hätten sie sich soeben erst an Ort und Stelle niedergelassen. Man muss an pflanzliche Samen und Knollen denken, die Keime austreiben. Erst bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass das zweigartige Gebilde der Gruppe „Windfrüchte“ auf nur zwei Punkten aufliegt und leise vor- und zurückwippt. Verborgene Gewichte halten das Gleichgewicht. - Lebensweisheit scheint in diesen Metallformen zu stecken – die Vorstellung, dass Wankendes nicht stürzen muss, wenn es nur ein richtig gelagerter Schwerpunkt zu halten vermag.
Solcherart gebaute Stahlplastiken sind zwangsläufig Ergebnisse eines langen Entstehungsprozesses – es ist erstaunlich, wieviel sie dennoch von der Spontaneität des ersten Einfalls, des Entwurfs bewahrt haben. Nur scheinbar unwichtige Details geben den Formen ihre Leichtigkeit: So die an einer Ecke leicht hochgezogene Bodenplatte, die es unerklärlicherweise vermag, den ganzen schweren Körper nach oben zu ziehen. Viel stärker als gewöhnlich wird die Plastik hier zum Energiespeicher. Große Kräfte wirken gegeneinander, werden kunstfertig am Auseinanderfallen, am Umkippen und Hinstürzen gehindert. Die Formen der Gruppe „Wachstum“ nehmen Bewegungen auf, führen sie weiter, leiten sie schließlich ab: von unten nach oben und entlang eines geöffneten Kreisverlaufs. Dem ursprünglichen Entwurf eines Ringes sowie einer liegenden und einer stehenden Säule lagen elementare Zeichen zugrunde, die der Künstlerin schließlich zu piktogrammhaft und nicht malerisch genug erschienen. Sie öffnete den Ring und kippte das Stehende, das sich nun gabelt und förmlich treibt. Der Kreis scheint zu schweben, die stählernen Formen atmen und bewegen sich. Das Ergebnis sind Arbeiten von ruhiger, konzentrierter Strahlkraft.
Im Anschluss an „Wachstum“ entstand die Gruppe „Sammlung“, bestehend aus fünf kleineren Arbeiten, die an Bekanntes erinnern, ohne es der Eindeutigkeit preiszugeben. Cornelia Weihe greift organische Formen auf, die sowohl der Pflanzen- wie der Tierwelt entstammen und zugleich an Artefakte erinnern. Was zuerst wie ein Knochenwirbel aussieht, erinnert bald an ein Zahnrad, die schlanken spitzen Metallblätter lassen auch an archaische Waffen denken, denen Patina und Alter die Gefährlichkeit genommen haben. Die Reste menschlicher Schriften auf dem emaillierten flachen Gebilde, dem Ausgesparten des Knochenwirbels, erinnern an ferne oder längst versunkene Kulturen.
So veranschaulicht die Künstlerin in der „Kleinen Sammlung“ einen erweiterten Kulturbegriff, der nicht mehr zwischen Natur und Mensch unterscheidet. Mit diesen Arbeiten änderte sich auch die Entwurfspraxis: Kein Modell war mehr vonnöten, eine Skizze genügte zur Umsetzung der Idee. Die Künstlerin produziert – unabhängig von Größe und Gewicht - ihre Plastiken bis heute selbst und behält sich so die Kontrolle über jedes Detail vor.
Cornelia Weihe verwendet mit Vorliebe Stahl, dessen rostrote Oberfläche von ihr gezielt bearbeitet wird, um seiner Patina Lebendigkeit und sinnliche Ausstrahlung zu verleihen. Die Qualitäten des Rostes kommen für sie denen der Zeichnung nahe, beide entfalten eine unmittelbare Wirkung. Ihre Materialien sollen so wenig wie möglich Schmuckcharakter haben, sondern rau, wie ein Stück der Natur selbst wirken. Ähnliche Intentionen haben sie dazu geführt, die Schweißnähte ihrer Plastiken nicht zu glätten. Unregelmäßig und schrundig, bereichern sie die Oberflächen durch zeichnerische, oft genug malerische Elemente. Wie Narben erinnern sie an Vergangenes, Erlebtes, Durchlittenes. Verheilt, geht von ihren an- und abschwellenden Linien immer noch eine stetige Strahlung aus. Diese malerischen und zeichnerischen Elemente der Metalloberflächen stellen die Verbindung zu dem beachtenswerten malerischen Werk Cornelia Weihes her, in dem sich - ebenso wie in ihren Plastiken - Figur, Landschaft und Atmosphäre miteinander verbinden. Auch hier gibt es keinen Quadratzentimeter unbelebter, lustlos zugestrichener Fläche. Der so oft beschworene Begriff des „Vibrierens“ der Farben – hier trifft er zu. Vielleicht unmittelbarer noch als in der Plastik zeigt sich hier die Fähigkeit, loslassen zu können – den akademisch eingeübten Strich, die eindeutig definierte Gestalt, die angeblich ehernen Gesetze der Komposition. Loslassenkönnen heißt im Fall dieser Bilder, den Pinselstrich nie scharfkantig-perfekt werden zu lassen, seine Rauigkeit zu bewahren mit einer Lässigkeit, einer Ungezwungenheit, die nur von der Natur abgeschaut sein kann.
Ergebnis dieses Versuches, der Natur zu folgen, ist eine Neubewertung der Oberfläche. Cornelia Weihes Katalog von 1994 war ein Zitat Oscar Wildes vorangestellt: „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach dem äußeren Erscheinungsbild. Das Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare.“ Dieses scheinbare Paradoxon bedeutet nichts anderes, als dass alle Geheimnisse der Welt offensichtlich vor aller Augen zutage liegen – aber dass sie nur selten erkannt werden. Die Sehkonventionen, an deren Perfektion Teile der Menschheit unablässig arbeiten, machen das Erkennen des Offensichtlichen fast unmöglich. Oft bleiben nur seltene Momente blitzartiger Erkenntnis, wenn die Konventionen für kurze Zeit außer Kraft gesetzt werden. Solche Momente hervorzurufen, gehört zur Sisyphusarbeit der Kunst. Und so sind Cornelia Weihes Bilder voller verborgener Schönheit, aber das Offensichtliche ist auch hier das Rätselhafte.
Die gegenseitige Annäherung von Plastik und Malerei fällt dabei für die letzten Jahre besonders auf. In einem allmählichen Prozess, dessen treibende Kraft die Integrität der Künstlerin und nicht der Markttrend ist, verschwindet aus vielen Gemälden die menschliche Figur und überlebt bisweilen nur noch in den neuartigen Strukturen. Nichtsdestotrotz bleibt sie Ausgangspunkt vieler ihrer Arbeiten. Linien und Flächen befreien sich aber von beengenden Inhalten, werden im Bildraum entgrenzt. Eine realistische Figürlichkeit erscheint der Künstlerin als zu eng, zu konkret, zu wenig Spielraum für Interpretationen lassend. Ihre Figuren oder Figurenfragmente sind von reduzierter Körperlichkeit: dürre Gliedmaßen, Köpfe, die vor allem an Schädel denken lassen, ohne konkrete Gesichtszüge. In ihren Malereien verarbeitet sie auch persönliche Erlebnisse, stellt und beantwortet für sich existenzielle Fragen. Das Leben als ein Gefäß, das es mit Sinn zu füllen gilt, der menschliche Körper, der aufnimmt und gibt. Ihren Figuren ist oft etwas Schmerzliches, Leidendes eigen.
Aber die Malweise selbst zeigt sie in Bewegung, sie verharren nicht in einem dauerhaften Zustand, sondern tragen in sich die Möglichkeit zur Veränderung. Titel wie „Eintauchen“, „Bleiben und Gehen“, „Schritt“ oder „Wir sind Vorübergehende“ setzen diese malerische Bewegung auch sprachlich um. Unterstützt wird der Eindruck der Dynamik nicht nur durch die Komposition, sondern ebensosehr durch die Kombination grafischer und malerischer Mittel: Der stockend gezogene Ölkreidenstrich wirkt, als wäre er mit einem trockenen Pinsel gezogen - bevor er sich mit der nassen Farbe mischt und in seiner Umgebung verschwimmt, dabei einen Grat in der Farbe hinterlassend.
Der Zustand der Bewegung erreicht einen Höhepunkt in dem Gemälde „Hommage an Keith Jarrett“, denn es ist der Versuch, die Dynamik musikalischen Geschehens in das statische Medium der Malerei zu übertragen. Ohne die Möglichkeit, einen zeitlichen Verlauf darzustellen, kann die Malerei dies nur durch Kunstgriffe erreichen. Cornelia Weihe spielt dabei virtuos mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln: In beiden Richtungen herrscht die Diagonale vor und suggeriert Bewegung. In raschen Pinselzügen ist der Malerei ein Duktus verliehen, der selbst an Geschwindigkeit und damit das Vergehen von Zeit erinnert und ohne weiteres an das rasante Spiel des Pianisten denken lässt.
Diese Malerei entsagt nicht der räumlichen Illusion, aber die Farben assoziieren häufig Erden, Sande, Gräser, Lüfte und damit Landschaft, die eher als Stimmung hervorgerufen wird, als dass sie selbst im Bild erschiene. „Eis am Fluß“ oder „Heide“ sind solche Arbeiten, die abstrakt erscheinen, aber doch konkrete – wenn auch vieldeutige – Landschaftsstimmungen transportieren. Es sind beglückende Momente, die man in Betrachtung dieser Malerei erleben kann.
Die Werke Cornelia Weihes leben von solchen produktiven Widersprüchen – fast scheint es, als vereinte sich der alte Wettstreit der Künste in ihrer Person. Ihre Metallplastiken integrieren mühelos Malerisches, ihre Gemälde hingegen erzeugen oft schon durch einfache Farb- und Formkontraste suggestive plastische Wirkungen. Es scheint, als ob diese Selbstverständlichkeit, dieser Eigensinn, als ob die Ruhe und Gelassenheit, mit der die Künstlerin ihren Weg verfolgt, an inneren und äußeren Widerständen gewachsen seien. An Widerständen, wie sie ihr in der Natur begegnet sind: Wind, Regen, Felsen, Gestrüpp - und deren Erinnerung die gemalten Landschaften wachhalten. Zu deren Merkmalen gehört andererseits die Porosität, die Durchlässigkeit: die Aussparungen der trockenen Pinselzüge, die Darunterliegendes durchscheinen lassen, die Liniengeflechte, die den Flächen erst ihren Platz im Bildraum zuweisen - sie öffnen sich dem Blick und machen die Bildoberfläche transparent. So betrachtet, behaupten sich auch die Plastiken nicht nur als widerständige Gebilde im Raum, sondern geben den Blick frei auf das Dahinterliegende - durch ihre Gabelungen, Öffnungen und Bögen hindurch. Transparenz lässt sich nur erleben im Kontrast zum Widerstand des Undurchlässigen.
Wohl nur selten werden Plastik und Malerei mit solch fortdauernder Intensität und derart verblüffender Wechselwirkung betrieben. Überdies gestattet sich die Künstlerin die Freiheit, Sinnlichkeit und Schönheit in ihrer Kunst nicht zu verachten. Freilich eine herbe Schönheit, eine eigensinnige, mitunter stachlige – eine, die als wirkliche Schönheit etwas Seltenes bleibt.