Nimmt man die Bedeutung des Wortes Symposium ernst, sind das miteinander geführte Gespräch und gegenseitige Achtung für das Gelingen eines solchen Arbeitstreffens wichtige Voraussetzungen. Nur so entsteht ein wirkliches Zusammenwirken, ein Lernen voneinander, und sei es im – nur scheinbar nebensächlichen – Technologischen.
Verbindendes ergibt sich damit fast von selbst zwischen den neun Keramikerinnen und Keramikern, von denen Martin Möhwald und Martin Neubert die künstlerische, Maria-Petra Ondrej die technische Leitung innehatten. Eingeladen waren Fiona Wong aus Hong Kong, Angela Klärner und Marie-Luise Meyer aus Deutschland, Jimmy Clark aus den USA, Andrés Oslé Fadón aus Spanien und Martin Halstead aus Australien. So findet man in verschiedenen Arbeiten etwa von Andrés Oslé Fadón und Maria-Petra Ondrej, die Raster wieder, die sich aus dem Zerschneiden von Röhrenblöcken ergeben, jenes technische Porzellan für die Gasreinigung aus der Hermsdorfer Porzellanfabrik, das Angela Klärner in die Arbeit eingebracht hat. Martin Neubert machte sich für eines seiner „Ersatzteile“ die von Jimmy Clark bevorzugte Pinch-Technik zunutze, und seine „Ersatzteile“ sowie Marie-Luise Meyers „Universalspender“ zeigen, wie groß bei aller Ähnlichkeit des Themas dennoch die Unterschiede in Auffassung und Ausführung sein können. Andererseits fühlte sich Martin Neubert, möglicherweise von Andrés Oslé Fadón, der das Konzept traditioneller Gefäßkeramik zum Ausgangspunkt seiner Arbeit nahm, angeregt, einfache Schalen – wenngleich mit komplizierten Glasuren – zu fertigen. Maria-Petra Ondrej, Jimmy Clark und Martin Möhwald experimentierten mit speziellen Materialien wie paperclay und dünnen Porzellanfolien und Marie-Luise Meyer nutzte für einen ihrer Universalspender den von den Kollegen initiierten Freifeuerbrand, der das Tierische ihrer Gebilde durch die Natürlichkeit der Farben besonders betont. Die Liste der Gemeinsamkeiten ließe sich durchaus fortsetzen.
Wer aus dem Ausland kam, den mochte besonders das Lokale reizen, denn wozu reist man sonst Tausende Kilometer weit? Fiona Wong entdeckte für sich die Renaissanceinschriften an der Neumühle, nur wenige Schritte von ihrem Hotel entfernt, und für Jimmy Clark aus Philadelphia war es wichtig, Scherben, Fundstücke aus Halle in seine Arbeiten zu integrieren. Andrés Oslé Fadón fand Gefallen am keramischen Werkstoff der Region und ließ sich die Adresse der ihn vertreibenden Firma geben.
Die neun Künstler repräsentieren eine beachtliche Spannbreite in ihren Arbeiten – sie reicht von scheinbar herkömmlicher Gefäßkeramik bis zu freiplastischen Gebilden. Näheres Hinsehen lässt die Unterscheidungen aber nicht mehr so eindeutig erscheinen: Manches der Gefäße ist ungeeignet, Flüssigkeiten aufzunehmen, manches Objekt wiederum lässt sich mühelos zum Salzstreuer umfunktionieren.
Im Folgenden möchte ich die neun Künstlerinnen und Künstler kurz vorstellen, ausgehend von den hier gezeigten Arbeiten ihre künstlerische Eigenart charakterisieren....
Martin Halstead wurde mit Keramiken bekannt, die sich an der Formenwelt orientalischer Musikinstrumente orientierten oder die mit dem Instrumentarium eines mittelalterlichen Hofes verglichen wurden. Er selbst bezeichnete sich als „frustrierten Musiker“, einen, der sich als Kind danach sehnte, Musik zu machen, und durch widrige Umstände daran gehindert wurde. Die mit abgeriebenen Gold- und Bronzefarben erhöhten Dekore seiner Arbeiten erinnern an die Ornamentik alter Kulturen - sei es Europas, Afrikas oder der Südsee. Sie sind wie bei Hochdrucktechniken aus der Oberfläche des ungebrannten Tons herausgearbeitet und bleiben als glatte Oberfläche stehen, die tiefer gelegenen Flächen zeichnen sich durch holzschnittartige Strukturen aus.Die imaginären Streichinstrumente, die gebetsmühlenartigen Zylinder und geschwungenen kleinen Schreine sind, Zitat Halstead, „eine Enthüllung aller Dinge, die für mich Bedeutung haben – das fortwährende Aufspüren und Befragen universeller Symbole. Der Symbolismus der Arbeiten ist aus meiner Umgebung, meiner persönlichen Erfahrung und Geschichte abgeleitet.“ Es sind Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens, die ihn beeinflussten – Beispiel: „ein unvergesslicher Besuch der Kaiserlichen Schatzkammer in Teheran, und das Bild des Pfauenthrons, überzogen mit Gold, Lapislazuli und Edelsteinen,“ blieben für ihn „besonders bedeutsam.“ „Der Künstler betrachtet das Instrument als Symbol von Klang und Stille, ... , Traurigkeit und Freude, und betont diese Dualität ..., indem er stumpfe gegen glatte Oberflächen setzt, Ton gegen Metall, altertümliche gegen moderne Formen.“ Der Gegensatz von Blattvergoldung und rostigen Eisenteilen gehört dazu.
Fiona Wong bildet, so der erste Eindruck, Alltags- und Naturgegenstände wie Schuhe, Kissen, Kleidungsstücke, Schalen und Steine aus dünnem Porzellan nach. Aber es sind keine Nachbildungen, die „Naturtreue“ anstreben, sondern verfremdete Objekte, die durch ihre textile Oberflächenstrukturierung und besondere Materialität die vertrauten Dinge in eine andere, fremde Welt versetzen, wo sie dem Betrachter auf einmal neu und seltsam erscheinen. Somit reflektiert sie in ihnen durch Brechung des verfremdenden Mediums kulturelle Gegebenheiten. Die Künstlerin, die 1999 in einer Hong Konger Galerie ein nahezu komplettes Einzimmerappartment in Porzellan gestaltete, erwählte sich diesmal die mit heißem Wasser zu füllende Wärmflasche aus Gummi, deren von ihr gestreckte Form wiederum an Fische denken lässt. Die Körper bestehen aus einer Vielzahl kleiner Porzellanplatten, die mit Drähten untereinander verbunden wurden und an diverse gesteppte oder verflochtene Kleidungsstücke aus Asien erinnern. Eingeprägt wurden die von ihr hier an der Neumühle entdeckten Wasserstände vergangener Jahrhunderte, durch die diese Objekte einen konkreten regionalen Bezug erhalten.
Die Wurzeln für die von Jimmy Clark verwendete Fingerdrucktechnik – das Pinchen – reichen zeitlich weit zurück. Ähnliche traditionelle Verfahren, Gefäße zu formen, finden sich bei allen alten Kulturen, die die Töpferei kannten. Die Gefäße sind nicht etwa unregelmäßig gedreht, sondern entstehen aus einer Kugel, die ausschließlich mit den Händen bearbeitet wird. Ein erste Öffnung wird durch vorsichtiges Drücken immer weiter vergrößert und zum Gefäß geöffnet. In stundenlanger Arbeit vergrößert sich dieses durch die allmähliche Bearbeitung, wobei die Wandung immer dünner wird. Bei dieser Technik der Gefäßherstellung entstehen Körper, bei denen die Nähe zur Erde, aus der sie gemacht sind, in ihrer unregelmäßigen Form erhalten bleibt. Der Sägemehlbrand erzeugt sehr dunkle und unregelmäßige erdige Töne, die den „natürlichen“ Charakter der Gefäße unterstreichen. In letzter Zeit baut Jimmy Clark in den Ton von ihm überall aufgespürte Scherben ein, Bruchstücke menschlicher Geschichte, die auf die Formgebung zurückwirken und erweitert und reflektiert damit sein Formenrepertoire, das von verschiedenen, alten Kulturen aus Südamerika, China, Griechenland (vorwiegend Kreta) und Ägypten inspiriert ist.
Ähnlich wie Jimmy Clark lässt sich auch Angela Klärner, die mit ihm bereits bei Ausstellungen zusammengearbeit hat, bei diesem Symposium von Abbildungen historischer deutscher Keramik inspirieren, wobei die Künstlerin den Gegensatz von Ausgangsmaterial und Endprodukt ausspielt: Die von der technische Keramik produzierenden Hermsdorfer Porzellanfabrik zur Verfügung gestellten Röhrenblöcke aus ungebranntem Porzellan, die in der Gasreinigung zum Kühlen von Gasen verwendet werden, arbeitet sie durch Schneiden, Sägen, Schleifen in ihr vertraute, ja kitschige Formen alltäglicher Gebrauchskeramik um. So entstehen Schalen und Kaffeekannen, die keine Flüssigkeiten mehr aufbewahren können. Die strenge Struktur eckiger Röhren, die bei senkrechtem Querschnitt ein regelmäßig quadratisches Raster ergeben, in anderswinkligen Anschnitten jedoch überraschende Muster hervorbringen, prägt das Erscheinungsbild dieser Arbeiten entscheidend. Ganz gleich, welche geschwungenen Formen sie annehmen – die technizistische Matrix ihrer Bestandteile scheint dem Hohn zu sprechen und verhindert zuverlässig, dass Gemütlichkeit aufkommt.
Andrés Oslé Fadón dagegen bevorzugt es, seine gedrehten und tatsächlich nutzbaren Gefäße im noch weichen Zustand durch vorsichtiges Eindrücken mit den Fingern in die endgültige Form zu bringen. Dass diese nachdrückliche Mitwirkung der Hände kenntlich wird, gehört zu seiner künstlerischen Intention. Dieses Vorgehen entspringt wohl einer ähnlichen Geisteshaltung wie das Pinchen. Es ist diese ästhetische Haltung, die letztlich auch die Glasuren und das, was im traditionellen Verständnis „Dekor“ heißen würde, bestimmt: Es sind wenige, fast zufällig anmutende Pinselstriche, die in ihrer Absichtslosigkeit wie Zeichen der Natur wirken. Die Salzglasuren mit ihrem tieferdigen Rot kommen dem entgegen und ähnlich wirken auch die von Anflugasche malerisch geschwärzten Partien. In den Flaschen und Schalen Andrés Oslé Fadóns findet seine Vorliebe für traditionelle japanische Keramik seinen ganz persönlichen Ausdruck. Parallel dazu entstanden hier in Halle erstmals ganz andere Arbeiten: mit großen keramischen Kameras reflektiert der Künstler ironisch seine Vergangenheit als Fotograf. Altmodische Balgenkameras, die durch die Herstellung aus dicken Tonplatten noch ungeschlachter wirken, erscheinen wie Abbilder von Gegenständen einer fremden Kultur, deren Funktion missverstanden wird.
Martin Neubert nennt seine in Halle entstandenen Gebilde „Ersatzteile“ – genauer gesagt, sogar „regenerierte Ersatzteile“: Welchen Maschinen oder Apparaten diese Gebilde zu Ersatzteilen dienen mögen, lässt sich auch beim besten Willen nicht erraten. Sie wirken, als seien sie selbst bereits repariert – eben „regeneriert“ – worden, wie immer wieder geflickte Teile einer Mangelwirtschaft, die auch dem Wertlosesten noch eine Funktion gibt. Martin Neuberts Betongussarbeiten könnte man als Kaltkeramik bezeichnen – es ist ein Verfahren, das jedenfalls Dinge gestattet, die bei gebrannter Keramik unmöglich wären – so etwa das Eingießen plastikisolierter Kabel. Der von ihm verwendete sehr helle, fast schon weiße Beton, wird mit verschiedenen Pigmenten durchfärbt. Beim Ineinandergießen von gefärbtem und ungefärbtem Beton entstehen äußerst malerische Partien, die den Arbeitsprozess am verfestigten Werk erkennbar werden lassen und in spannungsvollem Kontrast zu den verwendeten geradlinigen Teilen stehen. Ausgegossen werden kann alles: von eigens geformten Schalen, Tetrapaks bis hin zu Feuerwehrschläuchen. Alle Dinge werden in einen neuen Zusammenhang gebracht, dessen Nützlichkeit man keineswegs sofort in Zweifel zieht.
Ein gänz ähnliches Thema bearbeitet auch Marie-Luise Meyer, deren „Universalspender“ sich - obwohl garantiert benutzbar - im Grenzbereich zwischen Brauchbarkeit und „nutzlosem“ Objekt bewegen. Ihre Spender erinnern an unbekannte tierische Wesen, verfremdet durch die beinahe schrille Farbgebung. Blau- und Grüntöne bringen die Formen klar zur Wirkung, zeigen die Entschlussfreude der Künstlerin für ein zeitadäquates Design und dokumentieren ihren Witz. Der Zufall, von anderen Keramikern als künstlerisches Mittel geschätzt, stört Marie-Luise Meyer, deren Arbeitsweise eher von einer grundsätzlichen Abneigung gegen das Natürliche geprägt ist. So wird ihr einziges im Freifeuerofen gebranntes Exemplar der „Universalspender“ wohl ein Außenseiter bleiben, ein „schwarzes“ Schaf in der ansonsten bunten Herde. Der Eindruck der Ebenmäßigkeit täuscht aber insofern, als dass jedes Stück ein Unikat ist, einzeln hergestellt aus mehreren gedrehten und miteinander verbundenen Teilen. In letzter Konsequenz würden diese Formen eigentlich den Guss fordern, die perfekte Wiederholbarkeit. Aber vielleicht widerspricht das im Kern der Lebendigkeit ihrer Objekte, die nur durch die individuelle Bearbeitung der Künstlerin zu ihrem Leben erweckt werden können.
Ähneln sich die Formen bei Marie-Luise Meyer, so überrascht Maria-Petra Ondrej in dieser Ausstellung mit einer Vielzahl von kleinen Nestern, von denen jedes anders gebaut wurde. Die Künstlerin konnte dabei verschiedene Materialien und Techniken ausprobieren. Die Grundform für jedes Nest entstand durch die Verwendung einer Schale als Form. Die Nester wurden sowohl aus einer geschlossenen Wandung als auch aus einer Unmenge kleiner Spindeln, Streifen oder zweigartiger Elemente gebaut. So wie Vögel alles von ihnen aufzutreibende Material für den Nestbau verwenden, kannte die Phantasie der Künstlerin keine Grenzen. Federn wurden als farbiger Abdruck ebenso genutzt wie als pinkfarbiger flauschiger Akzent oder als schwarze Einfassung eines kompletten Nestes. Eine Spielerei mit den zur Verfügung stehenden Materialien, die mit Assoziationen spielt und wirkungsvolle Kontraste einsetzt. Die fragilen Gebilde thematisieren das Verhältnis von Innen und Außen, vielleicht - wenn man es auf das reale Leben überträgt - das Verhältnis von Schein und Inhalt. Ein Nest kann flauschig aussehen, aber doch hart und unwohnlich sein. In den Arbeiten Maria-Petra Ondrejs spiegelt sich eine große Offenheit für Anregungen und Neugier auf das mit Keramik Machbare.
Fast scheint es, als arbeite Martin Möhwald mit einem derart ruhigen Selbstverständnis, dass er solcher ironischer Brechungen kaum bedarf. Innerhalb eines beständigen Formenrepertoires ergeben sich immer wieder überraschende Wendungen im Gebrauch der Glasuren und im eigentlichen, oft figuralen oder skripturalen Dekor, häufig bereichert um technische Erfindungen. So stellt er zu diesem Symposium zylindrische, transluzente Formen vor, die bei Auflicht ihre Reize fast völlig verbergen und den an die typischen Möhwald-Dekore gewöhnten Betrachter durch ihre schlichte hellbraune Farbigkeit verblüffen. Auch ist man einfach nicht gewöhnt, dass sich ein Gefäß des Künstlers durch Risse in der dünnen Wandung nicht mehr als Gefäß verwenden lässt. Erst wenn die Körper von einer Lichtquelle im Inneren durchleuchtet werden, offenbaren sie ihr eigentliches Wesen: Sie verströmen ein warmes Licht und zeigen die im unbeleuchteten Zustand nicht sichtbaren Dekore. Auch hier sind es wieder Schriftzeichen oder antike Läufer, die ihre geheimnisvolle Schönheit zeigen. Sie leben, wie stets bei Martin Möhwald, aus der Spannung, als bedeutungsloser Dekor verwendet zu werden, ohne dass sie jedoch als Zeichen von ihrer Bedeutung abgelöst werden könnten. Von hellem Lichtschein hinterfangen und überstrahlt, wird das Rätselhafte dieser Zeichen noch erhöht.
So zeigt sich auch an diesen Windlichtern so manches, was für die Arbeit der an diesem Symposium beteiligten Keramikerinnen und Keramiker typisch ist: Gearbeitet wurde mit den Spannungen, die sich aus dem Innen und Außen von Gefäßen, dem Harten und Weichen, das dem Material innewohnt, ergibt. Eine Vielzahl der entstandenen Kunstwerke oszilliert zwischen Nützlichem und Unnützem, zwischen Natürlichem und Artifiziellem, zwischen Traditionellem und Modernem. Die freundschaftlich interessierte Atmosphäre, die das Symposium prägte, spiegelt sich in dieser Ausstellung wieder: Die von ganz unterschiedlicher Ästhetik geprägten Ergebnisse existieren friedlich nebeneinander, eine Vielzahl von Verbindungen ergibt sich unter ihnen und manche Anregung ist bereits ablesbar. Viele der hier in Halle gemachten Erfahrungen werden sich erst in langer Sicht im Werk der Künstler bemerkbar machen. Und so wie man hier Anregungen empfangen hat, werden auch manche von Halle nach außen transportiert. Ein produktiver, fruchtbarer Austausch der Kulturen, der heute wünschenswerter denn je ist.