Karl Fulle, Woge 2003
Es mag für die erste in Halle stattfindende Keramik-Biennale nicht programmatisch, so aber doch aussagekräftig sein, dass die meisten von ihnen an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle bzw. an deren Vorläufer-Institutionen studiert haben. Mehrere Generationen von Lehrenden und Studierenden sind in dieser Ausstellung vereint. Gertraud Möhwald, die Grande Dame der ostdeutschen Keramik „beeinflusste ... mit ihrer freien Auffassung, dem unkonventionellen Umgang mit den von ihr eingesetzten keramischen Mitteln sowie dem Vorstoß in neue Ikonographien bis gegen Ende des Jahrhunderts das künstlerische Geschehen der freien Keramikklasse“ und prägte somit eine Generation von Keramikern, die ihrerseits an der Burg Giebichenstein entweder als Professoren arbeiten (Antje Scharfe) bzw. zeitweise zur Lehre hinzugezogen wurden (Karl Fulle, Judith Püschel) oder durch ihre kontinuierliche Arbeit in Halle maßgeblich sind (Renée Reichenbach, Martin Möhwald). Die von einer Generation an die nächste weitergegebenen Freiheiten im Umgang mit dem Material Keramik erweitern sich dabei beständig. Eingeladen wurden Kolleginnen und Kollegen, deren Werk von dem Studium an anderen Institutionen geprägt wurde und die interessante künstlerische Positionen vertreten wie Doris Kaiser, Gerhard Hahn und Kirsten Jäschke oder Christiane Wartenberg.
Zwanzig künstlerische Handschriften. Es gibt die Konstruktivisten und die Expressionisten, die Ironiker und die Romantiker, die Puristen und die Barocken. Selbstverständlich entwickelt und verändert sich die künstlerische Arbeit im Laufe der Jahre. Diese Veränderungen können feiner, gradueller Natur, aber auch abrupt sein. Es bildet sich eine eigene, unverwechselbare Handschrift heraus, die Wiedererkennbarkeit ermöglicht. Es ist wie Gertraud Möhwald sagt: „Man hat so einfach seinen Stil, zarte Veränderungen merkt man erst im Nachhinein.“ Ist es auch keine neue Erkenntnis, so verblüfft es aber doch oft, wieweit das Werk Ausdruck der Persönlichkeit seines Schöpfers ist, so signifikant sind die Parallelen im Charakter.
Die Unterschiedlichkeit der Herangehensweisen bei der Umsetzung einer Idee in ein Objekt ist groß. Jeder hat am Beginn der Arbeit eine mehr oder weniger genaue Vorstellung, was entstehen soll. Von der Exaktheit dieser Vorstellungen hängt die Bereitschaft ab, sich während der Arbeit überraschen zu lassen und sich spontan zu anderen als den ursprünglich geplanten Schritten zu entscheiden. Keramikerinnen wie Marie-Luise Meyer, Judith Runge, Maria-Petra Döring und Ute Lohse gehören zu dieser - eher konzeptuell angelegten - Strömung. Sie planen ihre Arbeiten präzise, die Umsetzung geschieht diesem Plan entsprechend und das Ergebnis weicht kaum davon ab. Bei Keramikern wie Gertraud Möhwald, Karl Fulle, Martin Möhwald, Renée Reichenbach und Ursula Zänker kommt der eigenhändigen Ausführung entscheidende Bedeutung zu, ermöglicht sie doch erst die spontanen Reaktionen im künstlerischen Arbeitsprozess.
Es gibt immer noch eine Art elementarer Töpferei. Martin Möhwald, der mit stoischer Gelassenheit Gebrauchskeramik produziert, beherrscht diese meisterhaft. Seine Schalen, Vasen, Kannen und Teller wirken oft als vollendete Kunstwerke in Form und Farbe, auf die sich das ruhige Selbstbewusstsein ihres Schöpfers übertragen hat. Die Kannen gießen perfekt, es ist ein Vergnügen, aus den Teeschalen zu trinken - fast so, als läge das Geheimnis dieser Dinge gerade darin, dass sie so selbstverständlich, so abseits aller Moden als Gebrauchsgegenstände hergestellt wurden.
Dabei eignet den Formen - bei aller Variation - über die Jahre etwas Beständiges. Sie ähneln sich, und doch ist jede anders schön. In größeren zeitlichen Abständen erweitert Martin Möhwald das Spektrum der von ihm verwendeten Techniken zur Gestaltung der Oberflächen, wobei seit Jahren die typografischen, spiegelverkehrt auf die Keramiken aufgebrachten Elemente für ihn charakteristisch sind. Diese Schriften sollen nicht gelesen werden, sondern sind für den Künstler „eine Art Malerei, weiter nichts“. Tatsächlich muten uns nicht-lesbare Schriften fremder Kulturen oft wohlgestaltet und dekorativ an. In ihnen mag ein banales Produkt angepriesen werden - wir sind so glücklich, es nicht zu verstehen und sprechen der Schrift Bildqualität zu. Ebenso wie an der Typografie entzündet sich Martin Möhwalds visuelle Fantasie an antiken Motiven, teilt sich mit in Marmorierungen, Craquelées, aufgerissenen Farbflächen und Karos. Die beiden Letztgenannten verbinden sich malerisch in den neuesten, in Philadelphia entstandenen Arbeiten, mit denen Martin Möhwald kräftige Blau- und Türkistöne in sein Werk einführt.
Karl Fulles aufgerissenen Gefäßen ist eine starke Bewegung und Farbigkeit eigen, die Ausdruck seines spielerischen Umgangs mit dem Erlernten und seiner Begeisterung für den Barock ist. Es ist sein Wunsch, das auf einen Mittelpunkt bezogene, per se in sich ruhende, gedrehte Gefäß in Bewegung zu versetzen. Diese drückt sich in zweierlei aus: Die zumeist liegenden Objekte zeigen kräftige Drehrillen - die in gebranntem Zustand verewigte Drehbewegung. Darüber hinaus weisen die zerschnittenen und aus ihren Einzelteilen wieder zusammengesetzten Gefäße in verschiedene Richtungen. Durch das Öffnen der Gefäße wird die sonst nicht zu sehende Innenfläche ebenfalls Mittel der Gestaltung. Karl Fulle arbeitet gern mit Kontrasten. Das Widerspiel von reliefartigen Strukturen und Glätte, von glasierten und unglasierten Flächen, von Innen und Außen, betont durch kräftige Farbkontraste ist charakteristisch für seine Objekte. Das ironische Spiel mit den fast schon sakralen ästhetischen Vorstellungen von Keramik ist das bewusste Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung, ausgehend von einer klassischen Ausbildung. Karl Fulle lebt seine Entdeckerfreude ohne Angst vor potentiellen Fehlern. Bei seinen Geschirren arbeitet er durchaus lustvoll im Grenzbereich zwischen Äthetik und Kitsch und lotet das ihm Mögliche aus.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die an ein Trompe-l’œil erinnernden Früchte auf den Tellern und Gefäßen von Grita Götze verselbständigen und zu eigenständigen plastischen Objekten werden würden. Die gelb-roten Kirschen vor blauem Fond oder die grün-gelben Birnen werden die Zeiten und die damit einhergehenden Moden ebenso überdauern wie die Früchtestillleben des 17. Jahrhunderts, bei deren Anblick man noch heute meint, den Tau von den Trauben wischen zu müssen. Dieser Charme der Täuschung, der ihren Dekoren eigen ist, weicht bei den prallen, auf ihren Kelchblättern thronenden Erdbeeren einer unverhohlenen Sinnlichkeit.
Am Anfang des 21. Jahrhunderts wäre jede Interpretation glaubwürdig, die diese überdimensionierten Früchte als Ausdruck einer kritischen Geisteshaltung zur Gentechnik erklärte. Bei Grita Götze aber drückt sich in den Erdbeeren, die aus einer Verbindung flächiger Dekore mit den gedrehten und gedrückten barocken Formen ihrer Kannen entstanden sind, einfach die Freude an der Schönheit der Natur aus. Ihr Anliegen ist die „bunte Frische“, die Früchte und Blüten mit der Keramik schlechthin teilen: die üppige Farbigkeit, die Vielfalt der Formen und der Glanz. Mit ihrem Wunsch, die Schönheit darzustellen - und damit zu verdoppeln -, nimmt sie bewusst eine im besten Sinne konservative Haltung ein, die sich gleichmütig über die vom Kunstmarkt favorisierten Trends hinwegsetzt und die ungebrochene Ausstrahlung einer Schale mit Pfirsichmalerei der Ch’ien Lung-Zeit (1736-1795) in unser Jahrhundert rettet.
Ursula Zänker, die oft baubezogen arbeitet, nutzt gerne das quadratische Format für ihre Fliesen, die sie in dieser Ausstellung zu einem Teppich zusammenfügt. Sie empfindet das Quadrat als eine Form, die ihr besonders liegt, da es - miteinander kombiniert - ein strenges Raster als Grundgerüst für Gestaltungen ergibt. Ursula Zänker verwendet verschieden eingefärbte sowie durch Mischung marmorierte Tone, die sie an die Schönheit von Steinen erinnern. Sie bevorzugt die erdigen, gedämpften Farben des Steinzeugs. Die Farbpalette ihres großen Wandteppichs umfasst elfenbeinfarbenen und roten Ton, der zu unterschiedlichen Anteilen gemischt wurde und auf den stellenweise Pigmente gerieben wurden. So entstanden zarte Abstufungen von Hellgelb und Grau, diverse Ockertöne bis zu Rotbraun, kontrastiert mit einem zarten Blau. Intarsienartig in diesen Fond eingelegt wurden mittels Schablone hergestellte Pflanzenornamente, die botanisch bestimmbare Pflanzenteile in der Positiv- und Negativform zeigen. So verbinden sich ein realistisches und ein abstraktes Element, die beide auf Naturformen basieren. Die Kombination von 169 Fliesen bot Ursula Zänker die Gelegenheit, durch Reihung, Wiederholung und Kontrastierung einen Rhythmus zu entwickeln, der in die Vielzahl der Farbtöne und Pflanzenformen Ruhe bringt.
Die Arbeit Renée Reichenbachs besticht durch die feine Nuancierung der Farbtöne Hellgelb und -Grau sowie die artifizielle, zurückhaltende Strukturierung der Oberfläche. Verwendete die Künstlerin früher eine Vielzahl von rotbraunen und grauen Tönen, beschränkt sie sich in letzter Zeit auf diese wenigen dezenten Farben, die ihr die Möglichkeit geben, den Gesamteindruck ruhiger zu halten und kräftige Kontraste mit dunkelgrauen, fast schwarzen Flächen zu setzen. Das Gefäß ist für Renée Reichenbach der Ausgangspunkt ihrer Arbeit, es ist die Grundform, die sie zur freien Gestaltung anregt. Aus der Verbindung von Dosen, Kästen und ihren Fisch-Formen entstanden vornehme Objekte mit schreinartiger Wirkung, die man - da sie sich immer noch öffnen ließen - weiterhin als Gefäße bezeichnen kann. Bei dem hier ausgestellten Objekt verzichtet die Künstlerin auf diesen letzten Rest von Gefäßcharakter. - Ein Schritt, der sich folgerichtig aus einer konsequenten Entwicklung ergibt und in keiner Weise einer Mode oder dem Zeitgeist geschuldet ist. Der Entstehungsprozess ihrer Werke ist geprägt von Spontanität und Offenheit für Veränderungen, von der Freude am Material. Charakteristisch für Renée Reichenbach ist die selbstkritische Hinterfragung ihrer Arbeiten, eine Kritikfähigheit, die sie mit Gertraud Möhwald teilt. Es ist die Frage nach der Gültigkeit jedes einzelnen Werkes, das von Bestand sein muss.
Gertraud Möhwalds Plastiken strahlen Würde und Konzentration aus. Souverän ruhen sie in sich - unabhängig von dem sie umgebenden Geschehen. Die kraftvollen Büsten, Köpfe oder Ganzkörperfiguren wirken durch ihre sinnliche Plastizität und ihre Farbigkeit. Die in ihrer Rauheit äußerst differenzierten Oberflächen mit den darin enthaltenen Rissen sind Ausdruck eines langwierigen Arbeitsprozesses. Ihren Reiz beziehen die Plastiken aus dem Kontrast zwischen der strukturierten Oberfläche und der Glätte der darin verarbeiteten Scherben, die sich - mal glänzend, mal matt - sanft wölben, einen klaren Bogen spannen oder eine konsequente Linie ziehen. Diese archaische Bruchstückhaftigkeit und die Asymmetrie bewirken eine Lebendigkeit des Ausdrucks, die dem Betrachter ein Gegenüber bietet, mit dem er in dauerhafte Zwiesprache treten kann. Gertraud Möhwalds Art, aus Bruchstücken, Resten, eigentlich Nicht-Mehr-Verwertbarem Neues zu schaffen, ist einmalig. Sie, die der folgenden Generation von Keramikern durch ihre frei gebauten Gefäße und Plastiken neue Wege bahnte, sucht in ihren Arbeiten immer noch nach dem Überraschenden. Die Künstlerin reflektiert nicht nur äußerst kritisch ihr Werk, sondern setzt sich auch immer wieder mit dem eigenen Qualitätsbegriff auseinander. Gertraud Möhwald nutzt kein Modell, sondern beginnt - ausgehend von einer Idee - zu arbeiten. Dabei verändern sich ihre Vorstellungen, da sie so lange experimentiert, bis die plastische Form und die farbliche Komposition sie überzeugen. Zeichnungen können ihr dabei zur Klärung der gemachten Beobachtungen dienen. Gertraud Möhwald möchte die Verschiedenheit des menschlichen Ausdrucks, das Typische herausarbeiten und den logischen Formverlauf entdecken. Dieses Anliegen sowie die Würde ihrer Porträts erinnern an klassische griechische Plastiken, ein Eindruck, der durch das Fragmentarische und die dezidiert eingesetzte Farbigkeit verstärkt wird.
Für Martin Neubert ist Keramik nur eine Möglichkeit des Ausdrucks unter vielen. Gerade die hier gezeigte Kombination von Ziegelsteinen und Beton zeigt Keramik nur noch als ready-made in den verwendeten Ziegeln. Seine plastischen und flächigen Arbeiten kennzeichnet ein starkes grafisches Moment. Wie mit dem Messer geschnitten wirken die scharfen Furchen im Beton. Der Künstler bevorzugt Werkzeuge, die dem Material solche Wundmale zufügen: Maurerkelle oder Spaten, die die noch weiche Betonmasse vor dem Abbinden durchpflügen, oder der Trennschleifer, der sich in die hartgewordene Substanz frisst. Schmerz ist ein häufiges Thema seiner Arbeiten. Die Ironie der gemauerten Köpfe ist denn auch eine, die schmerzt, nicht frei von Gewalttätigkeit. Komplementär dazu verhält sich das Malerische der plastischen Arbeiten - viele sind mindestens eingetönt, häufig regelrecht bemalt. Furchen, rot wie Wundbrand, wirken entzündet - man glaubt plötzlich, Malen habe etwas mit Wundmalen zu tun. Daneben stehen flächige Bemalungen, grell, schreiend, dissonant. Martin Neubert hat einen kritischen Blick auf seine Mitmenschen, auf die Gesellschaft, in der er lebt, beflissene Harmonien sind nicht seine Sache.
Das häufigste Sujet von Sabine Heller ist die weibliche Figur, manchmal erweitert zur Mutter-Kind-Gruppe. Obwohl die Künstlerin auch mit Ton oder Gips arbeitet, nutzt sie vorzugsweise ungebrannte, lederharte Rohziegel, deren glatte Außen- und durchlöcherte Innenseiten den Figuren ihre prägnante Charakteristik geben. Erst nachdem die Ziegelstücke beschnitten und miteinander verstrichen wurden, wird die Arbeit gebrannt. Diese besondere Technik bezieht ihren Reiz aus der Verwendung des Halbfabrikats: Bestimmte Parameter des Materials wie Größe, Rauhigkeit oder Glätte der Oberfläche sind für die einzelnen „Bausteine“ der Figuren vorgegeben, auf jeden Fall nicht beliebig variierbar. Dadurch entsteht ein besonderer Materialwiderstand, der durch Montage, „Verfugung“ und andere Formungsverfahren überwunden, aber nicht eliminiert werden kann. Während durch die herkömmliche Verwendung „ungeformten“ Tones weiche Figurensilhouetten möglich sind, ist für die Plastiken Sabine Hellers deren Kantigkeit und Schroffheit kennzeichnend. Die häufig von ihr verwendete frontale und symmetrische Darstellung verleiht den Figuren den Anschein einer statuarischen Unnahbarkeit. Die in dieser Ausstellung zu sehende Sitzende mit den üppigen Haaren und der unterschiedlichen Haltung der Arme scheint dem Betrachter wieder etwas näher zu kommen.
Ironie kennzeichnet die Arbeiten von Judith Püschel, subtile und ausdauernde Ironie - eine der typischen „Waffen einer Frau“ - so ihr Düsseldorfer Ausstellungstitel. Dieses Nicht-Ernst-Nehmen des laufenden Gesellschaftstheaters entspricht seit je ihrer Mentalität. „Leitendes Organ“ konnte eine Arbeit zu der Zeit betitelt werden, als diese leitenden Organe zwar noch über ihre Machtmittel geboten, sich ihre ganze Hilflosigkeit aber bereits offenbarte. Heute gibt es dafür Titelfindungen wie „Das Amt für offene Vermögensfragen“. Diese Form der Kritik ist nicht frontal-aggressiv, eher gibt sie die kritisierten Dinge der Lächerlichkeit preis, um den verstellten Blick zu öffnen. Dafür sind Judith Püschel keramische wie nichtkeramische Mittel recht. Zeichnung, Ornament, untypische Materialien werden in den Dienst der Imagination gestellt, zusammengehalten vom übergreifenden Medium der Keramik. Jenseits der Ironie - und vielleicht sogar primär - offenbaren ihre Arbeiten eine tiefe Verzauberung durch die Massenprodukte einer untergegangenen Industriekultur. Eine Verzauberung, die in einer Singer-Nähmaschine wieder einen Menschenleib erkennt, im Massenprodukt das Individuelle. Das Werk Judith Püschels umfasst neben Arbeiten, die, übersät mit einer Vielzahl stark farbiger Muster, - der Pop-Art gleich - Alltagsgegenstände fetischisieren, auch der Natur entnommene Motive wie Pilze, die in zurückgenommenen Erdtönen zu Gruppen arrangiert werden. Zu diesen gehört auch die Gruppe kleiner Porzellane, die an vergrößerte pflanzliche Pollen oder Samenkörner erinnern und - frei von Ironie - eine sinnliche Freude an organischen Formen ausstrahlen.
Marie-Luise Meyers Thema ist die Mannigfaltigkeit und Differenziertheit von organischen und anorganischen Dingen, die sich mit geradezu beängstigender Geschwindigkeit dehnen und winden, schwellen und wabern. Die Metamorphose der aus weißem Porzellanton geschnitzten Objekte scheint sich vor unseren Augen abzuspielen. Eine meist schlichte Grundform teilt sich - ähnlich dem Prozess der Zellteilung - und beansprucht unaufhaltsam Raum. Marie-Luise Meyer hat einen Formenkanon entwickelt, der gleichermaßen erheitert und beunruhigt, weil sie Wiedererkennbarkeit suggeriert und doch in die Irre führt. Irritieren die Objekte durch ihre scheinbare Brauchbarkeit, so verunsichern ihre Gebrauchsgegenstände ebenfalls: Die weich geschwungenen Formen verlocken zwar zum Gebrauch, erwecken aber den Eindruck, dass sie sich womöglich doch plötzlich in einen anderen Gegenstand verwandeln könnten, der sich der beabsichtigten Nutzung entzieht. In der Arbeit „Brache“ ironisiert die Künstlerin ihre Befürchtung, an einer „Sockel-Ausstellung“ teilzunehmen. Der keinem Kunstwerk dienende, brach liegende Sockel wird von wurmartigem Kleingetier besiedelt, das ihn - sollte es sich im gewohnten Tempo vermehren - vermutlich innerhalb kürzester Zeit zersetzen wird. Waren in den früheren Arbeiten die Einzelteile noch durch ihre logische Anordnung gebändigt, ist in diesem Fall die Machtübernahme durch Kleinlebewesen zu befürchten.
Judith Runge widmet sich mit einem ganz eigenen Sarkasmus Themen, die für die Menschen von existenzieller Bedeutung sind. Die vor kurzem der Öffentlichkeit präsentierten Bilder von tausenden wegen BSE sowie der Maul- und Klauenseuche getöteter Rinder oder Schweine setzt sie in Keramik um. Abformungen von Spielzeugtieren werden - quasi Pressfleisch - einzeln in eine Quaderform gedrückt, so dass die aneinandergequetschten Tierleiber die Wände eines Gefäßes bilden. Aber Judith Runge geht noch weiter. Nicht nur, dass sie den Umgang des Menschen mit Tieren thematisiert, sie setzt sich auch mit der Diskrepanz zwischen der rasant sich entwickelnden Gentechnik und den damit entstehenden ethischen Fragen auseinander. Der Mensch nach Maß, der Umgang mit erst produzierten, dann aber nicht mehr benötigten Embryonen - das sind Probleme, auf die die Künstlerin hinweisen möchte. Judith Runge empfindet die Deformation menschlicher Körper bzw. Körperteile durch das Hineinpressen in den Quader als schmerzhaft. Die unterhalb der maximalen Temperatur gebrannte Porzellanmasse bleibt porös und wirkt dadurch lebendig. Die aus einem Spielzeug entstandene Form wirkt - vervielfältigt und ineinandergequetscht, nicht mehr spielerisch. Nur mit Unbehagen würde man ein solches Gefäß zur Aufbewahrung von Gegenständen, möglicherweise Lebensmitteln benutzen.
Doris Kaiser kombiniert in ihren Arbeiten zwei Materialien: Gipsblöcke, die Mulden aus Ton einfassen. Auf den ersten Blick wirken die Kästen lediglich klinisch weiß, rechtwinklig, hermetisch. Jedem Material eignet dabei eine eigene Formensprache: Die Gipskästen sind glatt, geschlossen, perfekt. Die Tonmulden hingegen sind zurückhaltend strukturiert, Felder von Fingerabdrücken, die an Organisches erinnern. „Ton hat eine bestimmte Aussage. Feine Spuren, minimale Plastizität, man spürt den Dingen den permanenten Druckzustand an, mit dem sie entstehen.“ Die gegensätzlichen Materialien und Verfahren schaffen Polaritäten zwischen den „organischen“ Innenräumen und den stabilisierenden Außenräumen, die sie umgeben. Polaritäten, die Spannungen hervorrufen und ein permanentes Potenzial erzeugen. Die Kästen wirken so als Batterien, die Empfindungs-Energien speichern und an den Betrachter weitergeben können. Doris Kaiser arbeitet mit einer extrem reduzierten Farb- und Formensprache. Minimale haptische und grafische Strukturen erfordern von dem Betrachter Ruhe und Empfindungsvermögen, um das fragile Verhältnis von Innen und Außen, von Raum und Fläche zu erfassen. Zusammen mit den sparsamen grafischen Akzenten erweisen sich die Kästen als Abdruck feinster Raumempfindung, vielleicht eine Transformation minimalen, kaum fassbaren Körpergefühls. Dem Betrachter vermittelt sich so ein Raumgefühl, das sich allen Worten entzieht. Es ruft ein „tiefes inneres Empfinden hervor, dass auf die existenziellen Probleme des Lebens“ übertragbar ist.
Die Formensprache Gerhard Hahns erweist sich als irritierend zwitterhaft: Im ausgestellten Triptychon „Brut“ lässt die hängende Form zwar an Organisches, etwa ein Wespennest, denken, zugleich aber in ihrer Regelmäßigkeit und Festigkeit an Technisches. Solch doppelter Formausdruck eignet mitunter der Architektur - und tatsächlich stellt sich das Gebilde als der kopfüber aufgehängte Turm zu Babel Pieter Brueghels d.Ä. heraus. Nicht weniger rätselhaft ist der Bezug zwischen Titel und Form bei „Thermit“: Die klangliche Assoziation an „Termiten“ scheint nicht abwegig zu sein, da das Ganze durchaus an einen aufgeschnittenen Termitenhügel erinnert. „Thermit“ aber ist der Name eines Sprengstoffs. Der Eindruck von zerstörter Architektur bekräftigt diese Assoziation. Es sind plastische Arbeiten voller Ambivalenzen: Im Konstruktiven der Technik ist auch ihr Zerstörerisches verborgen, das Organische offenbart seine technischen Seiten (und umgekehrt), Architektur erinnert an ihre vergessenen tierischen und pflanzlichen Formen. Die Arbeiten wirken „durch ihren längsschnittartigen Aufbau zugleich bildhaft-flächig als auch plastisch-real“. Der Künstler weiß um die technische Bedingtheit unseres Lebens, um eine Technik, die unentrinnbar erscheint in ihrer unbestreitbaren Nützlichkeit - und die doch Unbehagen erzeugt. Das Zwitterhafte vieler seiner Formen enthält vielleicht auch das utopische Potenzial einer anderen Technik - einer nämlich, die nicht versucht, die Natur zu technisieren, sondern die sich der Natur anpasst. Etwas, das in älteren Technikepochen immerhin als Erinnerung, als nicht ganz vergessene Möglichkeit noch präsent war.
Die Objekte von Kirsten Jäschke muten karg, ja puristisch an. Form und Material entwickeln zusammen eine Dialektik zwischen Festigkeit und Veränderlichkeit, zwischen Hartem und Fließendem. Tatsächlich sind sie im vollendeten Zustand spröde und hart - aber ihre schwer beschreibbaren Formen erinnern an die beweglicheren Zustände, die das Material durchlaufen hat. Dies ist nur ein Aspekt einer kaum greifbaren Ambivalenz dieser Dinge, die etwas Unsagbares übermitteln: Unsagbar, weil es keine Worte und Sätze dafür gibt. Kirsten Jäschkes Objekte sind still, fast unauffällig. Dennoch erzeugen sie eine subtile, erst allmählich spürbare Irritation, das Gefühl vertrauter Fremdheit - wie Rätsel, die leicht erscheinen und für die es doch keine Lösung gibt. An den hier gezeigten Arbeiten lässt sich vielleicht diese vertraute Fremdheit näher umschreiben: Ihre weißen Formen lassen vage Assoziationen an Gegenstände aus einem Lager für Sanitär- oder Medizinbedarf aufkommen, vielleicht auch an Knochen oder Knochenmodelle. Die zahlreichen Löcher erinnern mal an feine Austrittsdüsen, dann wieder in ihrer Häufung und Dichte an poröses Knochengewebe oder feine Korallenbäume. Am Ende aber trifft nichts wirklich zu, ein subtiler Surrealismus des Materials und der Form ist hier am Werk, der sich dem Verstand permanent entzieht und dessen Stärke die unbenennbaren Empfindungen sind, die er erzeugt.
Antje Scharfe thematisiert in ihrer Arbeit die überbordenden Papierstapel, die sich im Alltag zu immer bedrohlicheren Höhen auftürmen. Größtenteils besteht der Papierwust aus dünnstem Knochenporzellan, einem seit langem bevorzugten Material der Künstlerin, von ihr mit Blättern echten Papiers kombiniert. Das macht anfänglich die Illusion perfekt - bis sie in Verwirrung umschlägt, wenn der Materialmix offenkundig wird. Diese Mischung der Materialien - die auch die Montage von Fundstücken nicht verschmäht - verrät eine Haltung, die sich von jedem Purismus abgewandt hat. Nach jahrelangem Experimentieren mit den Möglichkeiten keramischer Techniken und Materialien entsteht nun Keramik jenseits der Keramik. Mit den Verfahren der Collage werden verschiedenste Mittel kombiniert: keramische, grafische, malerische, wobei häufig die Transparenz des Knochenporzellans genutzt wird, um diese noch in ihrer Wirkung zu steigern. Im Wechsel von Durch- und Gegenlicht entwickeln die Objekte eine Aura, die rätselhaft wirken kann – bis der Gesamteindruck ins Heitere umschlägt. Antje Scharfes Kunst offenbart eine große Lust, dem eigenen Spieltrieb zu folgen und - bei aller fundierten Kenntnis - die Freiheit, den Kanon keramischer Techniken nicht mehr als „heilig“ zu betrachten. So wird eine Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten gewonnen, die kaum Grenzen zu kennen scheint.
Freiheit in der Wahl der Mittel, bei anderen oft Resultat eines langen Weges, scheint Jan Liebmann selbstverständlich zu sein. Die Tatsache, dass er ursprünglich Malerei studiert hat, spielt bei dieser stark polychromierten Keramik sicher eine entscheidende Rolle. Oft genug sind bereits die Formen malerisch, überzogen mit grellfarbigen Glasuren. Groß- und Kleinteiliges, Kitschiges und Rätselhaftes werden in ironischer Beliebigkeit vermischt. Der Betrachter ist eingeladen zum unernsten Assoziieren, auch zum Fragen – gehen die Porzellanelefanten auf Kindheitserinnerungen zurück? Soll der Kitsch im neuen Kontext zu sich selber kommen, gar als autobiografisches Relikt gerettet werden? Jedenfalls eignet sich das Medium, farbig glasiertes Porzellan, vorzüglich zu seiner Vergegenwärtigung.
Susanne Kaufhold nutzt die Keramik konsequent als Bildträger. Natürlich lassen sich die Gefäße noch als solche benutzen, aber ihre Hauptfunktion ist es, Bilder zu tragen. Das keramische Material selbst wird auf seine malerischen Qualitäten hin untersucht: Bis zu welcher Transparenz lassen sich Auswaschungen treiben? Können Oxidfarben sowohl grafisch wie auch aquarellistisch verwendet werden? Ihre Porzellanbilder sind stark grafisch geprägte Malereien, die die spezifischen Mittel der Keramik als Bildträger nutzen. Das Wechselspiel von „schwarzen“ - undurchsichtigen - Flecken und grellen Lichtschlitzen im Durchlicht schafft zusätzliche starke Bildakzente. Die Ritzungen mit ihren Graten wiederum werfen feine Schatten, die beim geringsten Lichtwechsel subtile Veränderungen aufweisen. Das Repertoire ihrer Bilder ist aus der sichtbaren Realität geschöpft: Figuren, Köpfe, Interieurs. Diese Realien werden in verknappter Formensprache und in lockerem Duktus vorgetragen. Fast scheint es, als würde die Tradition großzügig-nüchterner Weltreflexion der Ost-Berliner Schule hier mit neuen Mitteln weitergeführt.
Maria-Petra Döring gehört zu den vielseitigen der jüngeren halleschen Keramikerinnen. In ihren Werken nutzt sie die Breite der Möglichkeiten des Materials entsprechend den damit verfolgten Zielen. Ihre Arbeiten sind oft zweckgebunden oder nehmen Bezug auf einen konkreten Ort, für den sie erschaffen wurden. Dabei entstehen manchmal Objekte, deren Formensprache kaum noch Keramik - auch nicht skulpturale Keramik - assoziiert. Die hier ausgestellte Arbeit treibt die von ihr bereits früher genutzte Verwendung möglichst dünnen Materials noch weiter durch die Verarbeitung einer neuartigen Porzellanfolie. Ähnlich konsequent, wie die Möglichkeiten des Materials ausgelotet werden, werden auch die der vorgegebenen Form, des Quadrates, erforscht. Die mit einer Radierung von Vlado Ondrej bedruckte Folie wurde gefaltet, so dass ein Wechselspiel zwischen bedruckter Vorder- und unbedruckter Rückseite entsteht, die nun alternierend als Innen- und Außenpartien erscheinen. Die Arbeit ist somit ein weiterer Schritt auf Maria-Petra Dörings Weg zur Erkundung neuer Ausdruckswelten, die - immer noch - zur Welt der Keramik gezählt werden.
Ute Lohse vertritt die unter Keramikern selten zu findende Position einer mathematisch begründeten Kunst, die sich nicht bloß in ihrem Formenkanon konstruktiv gibt, sondern tatsächlich axiomatisch aus mathematischen Prinzipien entwickelt wird. Ausgangspunkt der Gestaltung sind von ihr entwickelte Module, in diesem Fall eines aus drei gleichgroßen Quadern mit den Proportionen 1:1:2, die einander jeweils zur Hälfte verdecken. Das in jedem Fall auf drei Punkten stehende Modul ergibt, vervielfältigt und aneinandergesetzt, reliefartige Strukturen, die einen neuen Formeindruck erzeugen und das Ausgangsmodul vergessen lassen. Modul und Reliefstruktur wurden aus der Arbeit an Schalen entwickelt, für die ein adäquater Dekor gesucht wurde. Er fand sich schließlich - angeregt von Parkettmustern in Warschauer Schlössern - in einem zunächst flächigen Modul, das sich von einem Punkt aus in drei Richtungen regelmäßig entwickelt. Darin „wirkt Aktivität in drei Richtungen, gleichzeitig der Umstand der Eingrenzung. Damit ist eine lebendige Ruhe erreicht.“ Solches Arbeiten ist nicht an ein bestimmtes Material gebunden, jeder andere geeignete Stoff wäre ebenso möglich. Dennoch ist das Keramische bei Ute Lohse wohl mehr als persönliche Tradition. Seiner Oberfläche ist eine sinnliche Qualität eigen, die den Reliefs - man könnte sie sich gut in Verbindung mit Architektur vorstellen - entspricht. Die polierten, aber unglasierten Flächen erinnern in ihren minimalen Veränderungen an die „lebendige Ruhe“, die die Künstlerin anstrebt.
Die Arbeiten von Christiane Wartenberg setzen eine besondere, bei bildenden Künstlern nicht alltägliche Affinität zum Wort voraus. Der Gedanke, für Worte keramische Hülsen zu formen, mutet zunächst seltsam, ja unmöglich an. Dafür ist ein besonderes „mimetisches Vermögen“ nötig, das Ähnlichkeiten dort sieht, wo sie der Alltagsverstand nicht vermutet. Und die, kaum bemerkt, in der Sprache bis heute wirken: Denn das Wort mit seinem Klang muss eine geheime Ähnlichkeit mit der Sache aufweisen, die es bezeichnet. Von solcher Art ist auch die Ähnlichkeit der Wartenbergschen Hülsen mit den Worten, für die sie gemacht sind. Ihre Funktion ist dabei mindestens doppeldeutig - die Hülsen entsprechen in ihrer Form den Worten, aber sie scheinen sie auch zu beherbergen. Der Betrachter wird im Unklaren darüber gelassen, ob sich das Wort realiter in der Hülse befindet. Damit bekommt das keramische Material selbst etwas Sprechendes und die Doppelbedeutung des Wortes „Ton“ scheint in den Objekten Christiane Wartenbergs augenfällig verkörpert. Keramik wird zum Mittel der Kommunikation selbst. Denn jede Sprache, auch die künstlerische, transportiert Botschaften, selbst wenn sie - wie die Hülsen von Christiane Wartenberg - uns als Rätsel begegnen.