„daß die steine reden, / soll vorkomme. / aber die flechte? // die flechte beschreibt sich, / schreibt sich ein, schreibt / in verschlüsselter schrift / ein weitschweifiges schweigen: / graphis scripta…“ [1]
Seit über zwanzig Jahren verfolgt Olaf Wegewitz mit seltener Konsequenz und Folgerichtigkeit sein Thema, die Beziehung von Mensch und Natur: als Maler und Grafiker, als Buchkünstler, Papiermacher, Objektebauer, Kunstförderer, Imker und Pflanzer. Es gibt wohl keinen Künstler in Sachsen-Anhalt – und nur wenige in Deutschland – die derart überzeugend und in solcher Vielfalt Kunst und Leben miteinander verbinden. Olaf Wegewitz ist es gelungen, den Begriffen „Natur“ und „Kunst“ das Gegensätzliche zu nehmen und sie miteinander in Einklang zu bringen. Er „lebt den von Beuys entworfenen erweiterten Kunstbegriff“. [2] Beharrlich reflektieren seine Arbeiten die Stellung des Menschen nib Gesellschaft und Landschaft, ohne künstlerische Zugeständnisse zu machen, der agitatorische Gestus ist ihnen fremd.
Geradlinigkeit und Unabhängigkeit von künstlerischen Moden zeichnen das Werk von Olaf Wegewitz aus. Der Umstand, dass er keine der vier DDR-Kunstschulen besucht hatte, wies ihn von Beginn an einen ganz eigenen Weg. Seit Ende der siebziger Jahre waren die letzten „realistischen“ Relikte aus seinen Arbeiten verschwunden. Ohne antiakademische Attitüde, liegen diese Arbeiten dennoch weitab von allem, was an den Kunstschulen als „Handwerk“ vermittelt wird. Vielmehr entwickelten sich seine Techniken in Zwiesprache mit den Naturmaterialien selbst: aus Pflanzenfasern geschöpfte Papiere, unkonventionelle Buchbindungen, Großplastiken aus Papier – bis hin zur Erfindung neuer Druckverfahren, der Wiederbelebung vergessener und der Verbesserung alter Techniken.
Die Verbindung seiner Kunst mit der Natur ist im Laufe der Jahre immer inniger geworden, die künstlerische Reflexion über die Natur wurde immer stärker von der Tendenz durchdrungen, mit der Natur selbst zu arbeiten, Naturprozesse in die Entstehung der Kunstwerke einzubeziehen. Es ist der Versuch, im Sinne des Naturwissenschaftlers und -philosophen Gustav Theodor Fechner (1801-1887) „selbstlebendige“ Werke zu schaffen.
Seit den siebziger Jahren hat bei Olaf Wegewitz die Verwendung relativ unvergänglicher Materialien – wie z.B. Plaste – abgenommen zugunsten der vergänglicheren: Papier, Holz, Pflanzenteil (allerdings auch Gusseisen). Das heißt nicht, dass die daraus entstandenen Werke schnell vergehen müssten. Die Möglichkeit zur Verwesung, Verwitterung bettet die Werke ein in das Feld des Natürlichen. Ähnliches drückt sich in dem Versuch aus, die aus der Natur bezogenen Materialien nicht zu sehr zu bearbeiten, ihnen etwas von ihrer ursprünglichen Rohheit zu lassen. In dieser Materialästhetik zeigt sich Respekt vor natürlicher Organisation im deutlichen Gegensatz zur technischen Perfektion.
Olaf Wegewitz’ Haltung zur Natur ist im ursprünglichen und damit besten Sinne konservativ, nämlich bewahrend. Er möchte der Natur den Freiraum zurückgeben, den sie langen nicht hatte und der ihr tagtäglich aufs Neue genommen wird. Dazu gehört das Pflanzen von 4000 Buchen am Huy, die Dokumentation einheimischer Pflanzen, Flurnamen und Quellen, mit der er den ins Vergessen sinkenden Reichtum unserer Umwelt bewusst macht, und die Beschäftigung mit dem Verhältnis außereuropäischer Kulturen zur Natur, der Naturphilosophie eines Gustav Theodor Fechner oder den Reisen des schwedischen Naturforschers Carl von Linné (1707-1778). Dieser bereiste im Jahre 1732 den äu0ersten Norden Europas, worüber er in seiner 1811 erschienenen „Lappländischen Reise“ berichtet. Er notiert hier ebenso sorgsam Details der Pflanzen- und Tierwelt, der jeweiligen Landschaften und des menschlichen Lebens in ihnen. Eigenschaften und Aussehen der Pflanzens sind ihm so wichtig wie die Verwendung, die sie bei den Menschen finden. Dieser Haltung fühlte sich Olaf Wegewitz bei seiner Reise nach Lappland im vergangenen Sommer verwandt, sie bestimmt das künstlerische Ergebnis, das diese Ausstellung präsentiert.
[1] Enzensberger, Hans Magnus, flechtenkunde. In: Blindenschrift. Frankfurt am Main 1967, S. 71.
[2] Penndorf, Jutta, Vorwort. In: Der Sprachforscher Hans Conon von der Gabelentz (1807-1974). Eine Reflexion von Olaf Wegewitz. Kat. Lindenau Museum Altenburg 1998, S. 5.