"Am Fluss", 2015; "Flugkörper", 2007
Cornelia Weihes Gemälde und Zeichnungen waren schon immer eng mit ihren Skulpturen verbunden. Diese Beziehung ist im Laufe der Jahre noch enger geworden. Plastische Arbeiten und Malerei gehen eine unlösbare Verbindung ein. Die Künstlerin arbeitet parallel mit sehr unterschiedlichen Mitteln, die sie allesamt gleichermaßen beherrscht – je nachdem, in welcher Art und Weise sie eine Form denkt, welches innere Bild sie antreibt. So arbeitet sie gleichzeitig in verschiedenen Medien an der Umsetzung ihrer Gedanken ins Zwei- und Dreidimensionale. Einzelne Motive finden sich in unterschiedlichen Materialien wieder: Mischtechnik auf Karton oder Keramik, Öl auf Leinwand, verzinkter Stahl, Eisen- oder Bronzeguss. Gleichsam als Arbeitszustände zu verstehen, lassen die jeweiligen Varianten des Motivs offen, in welche Richtung es weitergehen könnte. Das ist ungewöhnlich und macht einen großen Reiz der Arbeiten aus. Die ohnehin schon malerische Oberfläche vieler ihrer Skulpturen – sie sind schrundig, ungeglättet und rau – wird zusätzlich mit Farbe bearbeitet. Die Haut der „Kreatur“ wirkt extrem geschunden und die Assoziation, das Tier habe unsagbares Leid hinter sich, drängt sich auf. Die Malereien hingegen verblüffen mit ihrer Illusion von Räumlichkeit, die menschlichen Körper ebenso wie die Landschaften.
Was für eine kraftvolle Welt sich hier eröffnet! Und mit welcher Selbstverständlichkeit diese Welt erschaffen wird!
Ebenso köstlich wie aufschlussreich ist der in Partien heitere Text, den Cornelia Weihe ihrem Katalog vorangestellt hat. Er fügt dem Bild von ihrer Kunst Neues hinzu und rundet es ab: Das Kind, welches – ganz im Einklang mit sich selbst – mit Buntstiften zeichnete und Tiere als auch Figuren aus Erde formte. Unschuldiger könnte ein Schöpfungsmythos nicht sein. Aber welch langer Weg liegt hinter einer, die Jahrzehnte später diese innere Gewissheit wiedergefunden hat, die im langen Ringen mit den Formen die Dinge unserer Welt „in eine neue, [ihr] gefällige Ordnung versetzt“ hat.
So friedlich, wie es der Text über die Kindheit schildert, sind diese Schöpfungen aber nicht mehr. Die menschliche Figur, die Cornelia Weihe immer wieder thematisiert, ist oft geschunden und verletzt. Das Leben hat seine Spuren hinterlassen. Ineinandergreifende Farbfelder sind zugleich durchscheinend und Linien häufig unterbrochen. Immer wieder wird das Erarbeitete in Frage gestellt, übermalt und korrigiert. Zunächst zarte Formen gewinnen in diesem Prozess an Griffigkeit, setzen sich durch, werden deutlich, prägnant. Und entziehen sich doch immer wieder der Eindeutigkeit. Man glaubt, manches Bekannte zu erkennen, aber es ist immer subjektive Interpretation, man sollte sich nicht zu sicher sein in dem, was man zu sehen glaubt. Die Tatsache, dass hier eine Frau arbeitet, könnte dazu verführen, das Verletzliche der Figuren überzubewerten, aus der Vielschichtigkeit des malerischen und bildhauerischen Prozesses auf die Produzentin selbst zu schließen beziehungsweise ihr Werk einseitig unter diesem Aspekt zu interpretieren. Stattdessen aber ist nicht zu entscheiden: „Solitude“ oder Fülle des Glücks? Vereinsamter „Wanderer“ oder einer, der endlich die Stille gefunden hat?
Ein kleines Mädchen, das allein im Wald unterwegs ist und am Bach spielt oder sich für die Werkstatt des Großvaters interessiert, fasziniert von den dort gelagerten Werkzeugen und dem verlockenden Bastelkram, der Verheißung vielfältiger Möglichkeiten. Das durchaus auch mit ihrem Puppenhaus spielt, aber eine wilde Freude daran hat, wenn seine Bewohnerinnen aus dem rasenden Puppenkarussell eben jenes Großvaters geschleudert werden. Da bricht sich etwas Ungestümes Bahn, zeichnet sich die Neugier auf eine Reise ins Ungewisse ab. Unerschrockenheit. Eine Voraussetzung für die künstlerische Arbeit.
Auch ist – so scheint mir – dieser Künstlerin nichts Menschliches fremd. Wir alle haben Abgründe in uns, Schattenseiten, sind von Ängsten erfüllt. Emotionen brechen sich Bahn, Merkwürdiges ist Teil des Lebens. Die Großmutter malt zur Freude ihrer Enkelin Figuren mit sieben Krakelfingern. Man kann es so oder so verstehen: Harmloser Kinderspaß und gruseliger Schauder lassen sich manchmal nicht klar voneinander unterscheiden, eins kann unversehens ins andere umschlagen.
Es spricht eine große Entschlossenheit aus dem Gesamtwerk Cornelia Weihes. Da gibt es schon lange kein Zögern mehr, kein Zurück. Wozu auch? Hier setzt jemand kraftvoll der Außenwelt ihre eigene entgegen.
Beim Heranwachsen zunehmend mit den Forderungen der Gesellschaft konfrontiert, wird sich Cornelia Weihe früh bewusst, dass es für sie überlebenswichtig ist, sich mittels ihrer Kunst diese eigene Welt zu erschaffen, einen geistigen Freiraum, der Schutz vor den Zumutungen „sozialistischer“ Kulturpolitik bot. Wie anders hätte sich die Gesellschaft entwickelt, wäre das eigene Leben verlaufen, wenn man in der Schule hätte träumen dürfen und die Indianer gemeinsam mit Lenin ihre Abenteuer erlebt hätten! Gute Kunst hat utopisches Potenzial.
Die politischen Zustände haben sich geändert, die Menschen nicht. Alle müssen ihren Platz finden, ihn sich erkämpfen. Und Künstler müssen sich am Markt behaupten. Erwartungen Anderer setzen uns permanent unter Druck. Dagegen verwahrt sich die Künstlerin. Sie will sich keine Sachen abverlangen, die sie nicht wahrhaftig aus ihrem Innersten geben kann.
Wie gut, wenn man all diesen ständigen Forderungen mit einer eigenen Bildwelt begegnen kann. Wenn man nach einem langen – mitunter durchaus schmerzhaften – Prozess des Reifens zur eigenen Bildsprache gefunden hat und wie selbstverständlich aus der eigenen Phantasie schöpft. Die verletzte „Kreatur“ balanciert auf noch wackligen Stelzen. Aber sie steht und wird mit jedem Schritt sicherer, im Wortsinne eigenständiger.
Mir scheint, dass eine Künstlerin, die – ähnlich wie das Kind damals – ganz in ihrem eigenen Tun aufgeht, eine Art des Glücks gefunden hat. Es steckt so viel Sinnlichkeit in diesen Bildern und Skulpturen: Das Wasser des Flusses, durch gelbe Grashalme gesehen, die Suggestion der Farben und Gerüche von Wäldern und Wiesen, „weites Land“. Die Menschen stehen „am See“ oder „am Fluss“, verharren an einem „Ufer“, kauern „am Meer“. Manche sind unterwegs als „Wanderer“, andere leben als „Waldmensch“, „Eremit“ oder „Narr“. Einige sammeln Muscheln oder werden von „blauen Sonnen“ begleitet. Sie begegnen einem „Kranich“ und einem „blauen Vogel“, finden ein „Nest“ oder einen „blauen Zweig“. – Cornelia Weihes Protagonisten sind „Vorübergehende“ „im Wind“. Sie sind „draußen [in der] Welt“. Stehen oder hocken, machen „langsam“ erste Schritte, blicken zurück und halten Zwiesprache – mit sich, mit uns.
Sie kommen an.
„Zeitgleich“ beschreibt die Arbeit Cornelia Weihes in verschiedenen Techniken, mit unterschiedlichen Materialien, an mehreren Themen. „Zeitgleich“ reicht aber nicht aus, um diesen Prozess zu charakterisieren. Das Wort trifft nicht den Kern, sondern verweist nur auf die Parallelität der Arbeitsweise, auf das Äußere.
Aber es ist mehr als das.
Es ist:
BEIDES SEIN.