Sonngard Marcks, Zitronenteller, 2012
Anlässlich der Präsentation eines Buches, das sich Frauen und Gärten im 18. Jahrhundert widmet [1], hieß es kürzlich: Gärten sind weiblich. Und um wie viel mehr trifft das auf die engstens damit verbundenen Blumen zu, die im gängigen Verständnis nahezu ausschließlich mit lieblicher Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden. Man denke nur an die Blumesprache des empfindsamen Zeitalters im 18. Jahrhundert. Und so erfüllt Sonngard Marcks mit ihren Arbeiten zunächst einmal beliebte Klischees: Eine Keramikerin, die ihre Gefäße am liebsten mit Blumen und anderen Pflanzen dekoriert.
In üppiger Fülle entstehen Sonngard Marcks’ Teller, Platten und Gefäße, die bemalt sind mit Schnee- und Maiglöckchen, Stiefmütterchen, Mohn, Tulpen, Kirschblüten, Lilien, Schachbrettblumen, Zinnien, aber auch mit diversen Gemüsesorten: Paprika, Artischocken, Bohnen Fenchel, Pilze, Blumenkohl, Zucchiniblüten und Knoblauch, dann noch das Obst: Pfirsiche, Himbeeren, Kirschen, Zitronen – die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Auf wohl jedem Gefäß finden sich aber auch Insekten aller Art: Käfer und Schmetterlinge unterschiedlicher Größen, Farben und Formen, selten auch Vögel.
All diese Pflanzen und Insekten sind auf das feinste in einer sehr detaillierten, graphischen Manier auf die Gefäße gezeichnet. Vielen der Blüten, Zweige und Früchte ist dabei eine gewisse „Schielische Knorzeligkeit“ eigen, die ein Gefühl von Glätte nicht aufkommen lässt. Die Unzahl von Details zwingt zum genauen Hinsehen und so entdeckt man immer wieder besonders schöne Partien wie Überschneidungen oder graphische Strukturen. Es ist einfach herrlich, wie die langen grünen Bohnen an- und abschwellen, sich die Fäden der Zucchinipflanzen und Wicken um andere Stengel winden oder die Kirschstiele aus dem kleinen hölzernen Stielansatz sprießen.
Oft sind die Hintergründe partiell fein gemustert, manchmal setzen klare geometrische Formen markante Akzente gegen zu viel Kleinteiligkeit. Der stellenweise weiß belassene Hintergrund erfüllt eine ähnlich beruhigende Funktion. Auch sorgen häufig kräftige, monochrome, schwarze Flächen für eine wohltuende Strenge und erhöhen die Spannung der Gefäße. Vereinzelt bildet ein aufwendig gemusterter, locker drapierter Stoff den Hintergrund, von dem sich die Pflanzen nur noch schwer abheben. Die Stoffmuster und darauf liegenden Objekte verbinden sich miteinander, ziehen den Blick – wie in einem Vexierspiel – magisch an und können jederzeit in die andere Bildebene kippen.
Die Virtuosität der Pflanzendarstellungen macht nicht nur Freude, sondern nötig Respekt ab, vor allem wenn man weiß, dass die Zeichnungen auf der weißen Zinnglasur, welche die Farbkörper wie ein Schwamm aufnimmt, nicht korrigierbar sind. Die Linien müssen also beim Auftragen sitzen. Ihre Routiniertheit verdankt Sonngard Marcks dem täglichen Zeichnen – nicht nur auf Keramik, sondern auf Papier. Wie in einem Tagebuch hält sie Früchte, Gemüse und Blüten der jeweiligen Jahreszeit fest, registriert penibel ihre täglichen Veränderungen, ihr Schrumpfen und Knittern, ihren Alterungsprozess. Das tägliche Zeichnen ist ein Grundbedürfnis der Künstlerin, die stets offen ist für Entdeckungen, versteckte Geheimnisse und Schönheiten, die sich selbst im Verfall offenbaren.
Und hier eröffnet sich nun eine andere Traditionslinie, in der Sonngard Marcks’ Werk steht, die ganz und gar nicht weiblich, sondern männlich geprägt ist: Die des botanischen Illustrators, ein Beruf, der ebenso wie der Gärtner und der Botaniker lange Zeit Männerdomänen waren. Und auch wenn malende Frauen sich verstärkt der Blumenmalerei widmeten (besonders, wenn sie nicht kommerziell, sondern nur zum Privatvergnügen malten), so gab es auch immer Maler, die sich auf Blumen und Pflanzen spezialisiert hatten, insbesondere, wenn diese mit Insekten kombiniert und / oder in Stillleben eingebunden waren. (Berühmteste Beispiele sind Jan Brueghel der Ältere, Jan van Huysum, Jacob und Joris Hoefnagel, im 19. Jahrhundert dann Adolf Senff).
Speziell nun botanische Illustrationen haben – sieht man von ihrer Artifizialität ab – sehr wenig mit Kunst zu tun, denn sie zählen zu den Naturwissenschaften, wo ästhetische Überlegungen unangebracht sind und „Schönheit nur ein angenehmer, jedoch völlig irrelevanter Nebeneffekt ist.“ [2] Zweck botanischer Illustrationen ist es, Pflanze oder Pflanzenteile genau und wieder erkennbar abzubilden. Ganz im Gegensatz zum Idealfall der botanischen Illustration, die hinsichtlich ihrer Entstehung an Hand formaler Kriterien weder datier- noch zuschreibbar sein sollte, bildet die graphische Handschrift Sonngard Marcks’ gewolltermaßen ein individuelles Charakteristikum ihrer Arbeit. Sonngard Marcks ist nämlich weder Botanikerin, noch Illustratorin, die zu anderem Zweck und zumeist in fremden Auftrag arbeiten, sondern Künstlerin, die sowohl mit der Auswahl ihrer Objekte als auch der Art und Weise ihrer Darstellung alle künstlerischen Freiheiten in Anspruch nimmt, einzig ihren eigenen Ideen verpflichtet.
Die Keramik eröffnet ihr hierbei nun ein Spektrum an Möglichkeiten, das die Arbeit auf Papier so nicht bietet. Ein unschlagbarer Vorzug ist die Dauerhaftigkeit der Farben, welche die eines jeden Herbariums oder einer Zeichnung übertrifft. Bei aller Differenziertheit und Farbigkeit fällt bei Sonngard Marcks’ Keramik die harmonisierende Gedecktheit der Farben auf. Die Gefäße wirken in der Regel nicht bunt. Keramik ermöglicht – selbstverständlich – die Dimension der Tiefe. Durch die partielle Verwendung von Glasuren, in welche die Farbkörper gesetzt werden, entstehen aquarellartige Effekte, gehalten von den Konturen der Zeichnung. Die Darstellung der Pflanze erhält eine eigene Stofflichkeit.
Aber neben diesen illusionistischen Effekten ist Sonngard Marcks die Arbeit mit den Gefäßkörpern als Bildträgern ein Bedürfnis. Große, strenge Teller und Platten bilden ideale Flächen und die Verwandtschaft dieser keramischen Arbeiten zur Malerei bzw. Zeichnung auf einen zweidimensionalen Bildträger ist offensichtlich. Darüber hinaus entwirft Sonngard Marcks aber eigene Gefäßformen, die durch Anklänge an barocke oder ostasiatische Fayencen und Porzellane gekennzeichnet sind.
Nicht nur mit diesen Formen, sondern auch in ihren Malereien, welche Pflanzen mit gemusterten Segmenten kombinieren, rekurriert Sonngard Marcks spielerisch auf die berühmten Traditionen ihres Metiers und entwickelt dabei eine moderne Sprache.
Die illusionistisch-räumlichen Effekte, die Sonngard Marcks in ihren Arbeiten teilweise erzielt, werden noch gesteigert, in dem sie – angeregt von Frida Kahlo und Paula Modersohn-Becker – tatsächlich Stillleben aus mehreren plastischen Teilen baut. Die Keramikerin inszeniert ihre Gefäße (zumeist einen Teller) mit Früchten, Besteck und Fließen. Diese Arrangements strahlen – sofern man sich auf sie einlässt und sie länger betrachtet – eine eigene Poesie aus.
Aber auch in anderer Hinsicht wird das kunsthistorische Interesse der Künstlerin spürbar - als Anreiz und Ideengeber, aber auch als Bestätigung des eigenen künstlerischen Weges: Sonngard Marcks liebt nicht nur Pflanzen, sondern auch die Stillleben vergangener Jahrhunderte. Immer wieder genießt sie die niederländischen und spanischen Gemälde des17. Jahrhunderts, erfreut sich an den üppigen ebenso wie an den schlichten Inszenierungen von Fülle und Luxus und spürt den Gedanken nach, die Antrieb dieser Kunst waren, bei der jede Blüte und Frucht, jedes Insekt eine über es selbst hinausweisende allegorische Bedeutung hat. Diese gibt den Stillleben eine religiös-ethische Dimension, die zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Natur führt.
Erlebt man Sonngard Marcks in ihrer Werkstatt oder in ihrem Alltag und durchblättert ihre Skizzenbücher, dann spürt man ihre Freude an der Vielfalt und am Reichtum der Natur, in der auch die kleinste Tomate oder der schrumpeligste Apfel ihren Platz haben sollten – zumal sie wahrscheinlich köstlicher munden als die genormten zwei Sorten, mit denen wir unser Leben im Allgemeinen fristen. Auch wenn es von der Künstlerin überhaupt nicht favorisiert wird, sollte man ihr Werk auch so verstehen: Als ein Bekenntnis zur Natur, zur Artenvielfalt und Biodiversität. Ironie ist ihr in diesem Zusammenhang völlig fremd und erklärtermaßen kein Ziel ihrer Arbeit, mit der sie die Schönheit preisen möchte und gleichzeitig deren Vergänglichkeit anmahnt.
In einem Stammbuchblatt, für das die von 1647 bis 1717 lebende Blumenmalerin und Insektenforscherin Maria Sibylla Merian 1675 eine Rosa Centifolia zeichnete, notierte sie den Sinnspruch „Das Menschen Leben ist gleich einer Blum“. Dieser Vergleich stammt aus dem Buch Hiob des Alten Testaments, wo es in den Versen 14, 1 und 2 heißt: „ Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“
Der eigenen Vergänglichkeit bewusst, sollten wir uns an der Schönheit der Natur – realiter oder transformiert in Keramik – erfreuen – und unsere Lehren daraus ziehen.
[1] Holm, Christiane / Zaunstöck, Holger (Hg.), Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit – Natur – Ästhetik. Halle 2009
[2] Lack, Walter H., Ein Garten Eden. Meisterwerke der botanischen Illustration. Österreichische NationalBibliothek, Taschen Verlag 2001, S. 14