Ute Großmann, Vorfrühling nach Paul Klee, 2006 | Michael Hofmann, Venedig-Blick nach Murano, 2010
Es ist verdammt viel Farbe in dieser kleinen Ausstellung von Keramik und Holzschnitten, so viel, dass es eigentlich für zwei Ausstellungen gereicht hätte. Aber Ute Großmann und Michael Hofmann, zwei Dresdner Künstler, die auch mit der Idee einer gemeinsamen Themen-Ausstellung spielen, stellen hier zum ersten Mal zusammen aus und kraftvoll stehen ihre Arbeiten nebeneinander, um manche Gemeinsamkeit in den künstlerischen Auffassungen ihrer Schöpfer zu verraten.
„Kleine Dorflandschaft“, „Sommerlich“, „Küstennähe“, „Grüne Felder“ oder „Innerlich“ - selbst die Vasen der Keramikerin Ute Großmann haben Namen und zeugen von der unendlichen Fabulierlust ihrer Schöpferin. Was sofort auffällt, ist die außergewöhnliche Farbigkeit ihrer Arbeiten. Intensiv widmet sich die Künstlerin dem unerschöpflichen Reichtum von Farbtönen in ihren feinsten Abstufungen. Jeder Farbton füllt eines der kleinen Rechtecke aus, die die Gefäße wie mit einem Netz überziehen. Bei Vasen wie „Kleine Dorflandschaft“ oder „Stadt versus Offene Landschaft“ bilden zahlreiche Blau- und Grünnuancen einen starken Kontrast zu den braunen Flächen. Die Konzentration von Farbtönen betont mal den warmen, mal den kühlen Charakter, mal ballen sich die dunkleren Nuancen, die von hellen, lichten Akzenten kontrastiert werden.
Ute Großmann baut ihre Gefäße aus Platten auf. Trotz ihrer Körperlichkeit sind sie durch eine spezielle Flächigkeit charakterisiert. In bestimmten Ansichten suggerieren viele der Gefäße eine Rundung und Voluminosität, die ihnen gar nicht zu eigen ist - hier zeigt sich ein augenzwinkernder Illusionismus. Die bewusste Unregelmäßigkeit und scheinbare Unbeholfenheit mancher Form verleihen den Körpern besondere Lebendigkeit.
Diese Vorliebe für die Fläche korrespondiert mit ihrer Freude an der Farbe. Der Wunsch, einen speziellen Farbklang oder eine Farbstimmung zu erzeugen, ist dann auch oft der anregende Ausgangspunkt der Arbeit. Wenn die Platten nicht bereits vorher mit einer Struktur versehen wurden, erhalten sie diese nach dem ersten Brand. Erstaunlich ist Ute Großmanns Erfindungsreichtum beim Bearbeiten der Oberflächen: Neben der Verwendung von Abdrücken und Stempeln werden ganze Flächen mit Noppen versehen oder aber hinterlassen die beim Brand schmelzenden Wachspunkte in der Glasur Vertiefungen - manchmal beides auf einem Objekt, so dass ein illusionistischer Effekt entsteht. Mit Flüssigwachs wird die Oberfläche in Rechtecke, Dreiecke, Streifen oder Kreise gegliedert, die anschließend in einem aufwändigen Arbeitsgang mit Unterglasurfarben und eingefärbten lasierenden Glasuren koloriert werden. Entweder wird dafür von der Künstlerin eine Palette mit fein abgestuften Tönen angemischt oder die lasierenden Glasuren werden in mehreren Schichten übereinander aufgetragen - ein Verfahren, das der Lasurmalerei verwandt ist. Die unterschiedliche Dicke der jeweiligen Glasurschicht führt zu einer unterschiedlichen Konzentration von Farbpigmenten, was den Oberflächen besondere Lebendigkeit verleiht. Ausgehend von dem Farbton einer Partie wird dieser vertieft: Es entstehen „Farbfamilien“, die sich über den Körper ausbreiten, die akzentuiert oder aber durch das Setzen von Lichtern kontrastiert werden. Ute Großmann möchte mit ihren Farbstimmungen Melodien erzeugen. Das von ihr dabei verwendete äußerst differenzierte Farbspektrum, das sich mitunter in kleinsten Feldern über die Fläche ausbreitet, macht diese Keramiken einzigartig.
Ute Großmann arbeitet zur Zeit ausschließlich mit der Raku-Technik, wobei ihr das charakteristische Rissnetz weniger wichtig ist als die Steigerung der Farbe durch den Reduktionsvorgang. Allerdings legen sich die Risse als wichtiges grafisches Element über die farbigen Flächen. Die Farbigkeit erzeugt dabei die Stimmung, die grafische Struktur quasi eine Art Erzählung. In dieser speziellen Verbindung erinnern besonders die ausgesprochen farbigen Gefäße, die in Streifen oder Rechtecke unterteilt sind, an Arbeiten Paul Klees. Um sich prägnant unterscheiden zu können, brauchen Farben die Form. Die grafische Gliederung, die in vielen Arbeiten der Künstlerin anzutreffen ist, garantiert eine einfache Art der Unterscheidung, die auf den Reichtum der Farbnuancen als der Hauptsache hinweist. Ein solches Verfahren ist tatsächlich in einer ganzen Reihen von Arbeiten aus Paul Klees Bauhauszeit anzutreffen: Methodische Untersuchungen von Farbwirkungen, die gleichzeitig von großem malerischen Reiz und Hintergrund für „grafische Erzählungen“ sind. Die neuen Vasen der Künstlerin tragen regelrechte Landschaften: man sieht die Weite der Felder, den niedrigen Horizont, die Kontur der Dorfkirche oder die Skyline einer Stadt. Die Flächen sind nicht mehr nur einfach dekorativ, sondern dienen zunehmend als Bildträger.
Einige Gefäße sind nicht vollständig mit Strukturen und Farben bedeckt. Die farbige Musterung nimmt nur noch den kleineren Teil, zumeist den Hals, des Gefäßes ein, so dass der Raku-Effekt mit seinen kräftigen schwarzen, weichen Linien und Flächen dominiert. Ähnlich einer weiblichen Aktfigur, die eine Halskette trägt und dadurch ihre Nacktheit betont, steigert die sparsam eingesetzte Farbigkeit die rakutypische Oberfläche, die wiederum die Kostbarkeit des farbigen Details erhöht. Die kunstvolle Unregelmäßigkeit des Körpers erzeugt manchmal eine leicht humoristische Wirkung, die manche Gefäße - besonders die mit kleinen Füßen und den typisch Großmannschen Ohrenhenkeln – zu wahren Gefäß-Persönlichkeiten macht.
All diese Details gehen eine einmalige, unverwechselbare Verbindung ein, die das Werk Ute Großmanns auszeichnet. Ihre Arbeit ist von großer Neugierde, ja Unerschrockenheit gekennzeichnet, die Frische ihrer Produktivität ist erstaunlich und in keiner Weise durch thematische oder ästhetische Vorgaben beschränkt. Die Unmenge ihrer Vasen und Plastiken künden allesamt von Ute Großmanns Freude an der Keramik und von der Wissbegierde nach den Möglichkeiten, die Keramik und Glasur bieten, um ihren unerschöpflichen Vorrat an Ideen zu realisieren. Dabei verbindet sie in ihren Arbeiten die Liebe zur Malerei mit den Möglichkeiten, die ihr nur die Keramik bietet und entwickelte so eine ganz individuelle Ästhetik der Raku-Keramik.
Michael Hofmann erwarb vor einiger Zeit, ohne Ute Großmann persönlich zu kennen, eine ihrer Vasen. Das verwundert nicht, verbindet beide doch nicht nur ihre sächsische Offenheit, sondern auch ihre Freude an Farben und Formen sowie ihre Fabulierlust, denn auch Michael Hofmann ist ein Erzähler. Er erzählt mit Humor, mit Leichtigkeit, manchmal auch mit Ironie. In seinen Darstellungen von Engeln und vom Totentanz – zwei Themen, die ihn langfristig beschäftigten – offenbart sich aber auch eine Menschlichkeit, die ihren Ausdruck in der klassischen Gestik seiner Figuren findet.
In dieser Ausstellung präsentiert er einen kleinen Ausschnitt aus dem ihm verfügbaren Spektrum. Die neue Serie von sieben Köpfen zeigt sein Vergnügen an extravaganten Typen, modischen Überspanntheiten, menschlichen Eitelkeiten und Schwächen. Die in Baden-Baden gemachte Beobachtung einer exaltierten Dame aktivierte seinen alten Wunsch, einen Kopf mit Fisch und Hut zu machen und so entstand aus einem formalen Thema und realer Beobachtung eine ironische Interpretation vom Urteil des Paris’.
Ausgangspunkt seiner Arbeit sind immer formale Ideen und Farbvorstellungen. Michael Hofmann, der auch auf Reisen viel zeichnet, um seine Eindrücke zu bewahren, fertigt, bevor er mit der Arbeit am Druckstock beginnt, einen Farbentwurf in Originalgröße an. Der Vorgang des Schneidens und Druckens zeichnet sich dann durch große Konsequenz aus, denn Michael Hofmann arbeitet mit der verlorenen Form. Das heißt, er zerstört im Laufe des Arbeitsprozesses, während er sich Farbe für Farbe von der großen Form zu den kleinen Details vorarbeitet, den Druckstock und der Druckvorgang ist nicht wiederholbar. Damit steigert er bewusst die Exklusivität seiner Arbeiten, die nur in kleiner Auflage produziert werden. Er entscheidet sich aber auch dafür, immer etwas Neues herstellen zu müssen, wenn er etwas verkaufen möchte. Egal, wie gut sich ein bestimmter Druck verkaufte und wie groß die Nachfrage ist, Michael Hofmann kann keine zweite Auflage davon herstellen.
Seine Formate sind großzügig ausgespannt, die Entscheidung für die geschlossene oder offene Form hängt dabei vom Thema ab. Die Flächen werden durch schwarze Linien und Bänder, als Schatten oder Umriss eingesetzt, strukturiert. Seine Holzschnitte sind auffallend malerisch, viel malerischer als es für diese Technik üblich ist – und für machbar gilt. Auffallend ist das breite Farbenspektrum. – Gerade das Spiel mit Farben scheint Michael Hofmann ein existenzielles Bedürfnis zu sein. Den Arbeiten von Ute Großmann nicht unähnlich verwendet er in einem Blatt mehrere Grün-, Blau- und Violettöne, die er in Weißausmischungen bis zur Pastellfarbigkeit differenziert. Kleine Schnitte und Linien sorgen gezielt für Bewegung und malerische Effekte, lassen oft die darunter liegende Farbschicht durchblitzen. Winzige schwarze Punkte vom ersten Druckvorgang, partiell sich verdichtend, schimmern durch die aufliegenden Farbschichten hindurch und machen die Flächen lebendig. Mal mehr, mal weniger absichtlich eingesetzt, gibt die Holzmaserung den Flächen zusätzlichen Reiz, indem sie etwa dem ruhigen Meer vor der italienischen Küste Tiefe verleiht. Vereinzelt verwalzt er zwei oder drei Farben auf einer Druckplatte, um Übergänge zwischen verschiedenen Tonwerten in einer Fläche zu schaffen. Durch diesen Irisverlauf, der bei jedem Abzug etwas anders ausfällt, heben sich diese dezidiert malerischen Partien vom monochromen Charakter der übrigen Druckflächen deutlich ab. Mit sichtbarer Lust an ihrer vollkommenen Beherrschung eingesetzt, tragen alle diese Mittel zu einer eigenen Art von Holzschnitt bei, deren Farbigkeit ihresgleichen sucht.
Ähnlich wie Ute Großmann lässt sich auch Michael Hofmann nicht aufhalten, wenn er auf ein Thema stößt, das ihn fasziniert. Egal, ob andere Künstler hier bereits allgemein bekannte Vorgaben machten oder Maßstäbe setzen. Er möchte seine eigene Interpretation, seine Form- und Farbvorstellungen realisieren. Ihm macht dieses Nebeneinander eher Freude.
Ausgehend von einer Grundidee entwickelt Michael Hofmann oft ganze Serien, in denen er einen Motivkreis ausreizt. So ist ein breites Themenspektrum entstanden: neben Figurenkompositionen stehen Landschaften, Straßenszenen, Fensterbilder, Engel, Flötenspieler – und ein Totentanz.
Eine seltsam ambivalente Stimmung strahlt von den Fensterbildern Michael Hofmanns aus: Sie vermitteln die Empfindung von Weite, als eröffneten sich auf einmal unerwartete Freiheiten. Man vermeint, die salzige Meeresbrise zu riechen oder die frische Abendluft. Mit den oft schräg zu den Bildrändern gekippten Fensterflügeln weitet sich bereits der Blick nach außen. Und so, wie die Ferne optisch, akustisch oder mit ihrem Geruch ins Zimmer drängt, entstehen Sehnsüchte nach der Ferne und das Bedürfnis nach Entgrenzung und der Freiheit da draußen. Die Fensterbilder halten den Blick des Betrachters im Inneren fest – mit Stillleben, Interieurfragmenten, den Silhouetten menschlicher und tierischer Bewohner – und sie ziehen den Blick nach außen, in die Landschaft, ins Öffentliche, in die frische Luft der Ferne. Sog in die Ferne und Verankerung im Innern – in dieser Ambivalenz liegt der Reiz der Fensterbilder, mit ihrer Anhäufung farbiger Kontraste von oft fröhlicher Widersprüchlichkeit.
Michael Hofmanns Landschaften sind oft von lyrischer, selten sogar wehmütiger Stimmung – und meistens menschenleer. Unverkennbar sind die typischen Dresdner Häuser mit ihren charakteristischen Dachgeschossen und Sandsteinsimsen. Im Schrägen und Verwinkelten der Häuser, in ihrer tänzerisch-schiefen Stellung zur Straße, die selbst oft genug krumm geht, offenbart sich ein seltener Humor, für den die Dinge ein selbständiges Leben führen, mit kleinen Schwächen und eigenem Witz. Dies erinnert mitunter an Lyonel Feininger. – Vielleicht doch nicht ganz zufällig lassen sowohl manche von Michael Hofmanns Holzschnitten als auch Ute Großmanns „Kleine Dorflandschaft“ und an jenen Bauhaus-Maler denken, der einst ein erfolgreicher Karikaturist gewesen war.
Gemeinsam ist beiden Künstlern die Freude an Farben und ihren unendlichen Möglichkeiten der Abstufung. Die Farben sollen in der Fläche Schwingungen erzeugen, ein Strahlen. Sie stehen bei beiden Künstlern für Energie, Lebenslust, Gefühlskontraste. Dabei teilen die beiden Künstler die Freude am Handwerklichen, am sinnliche Reiz des Machens und auch den Wunsch, damit Freude zu bereiten. Angesichts der den Diskurs bestimmenden zeitgenössischen Kunst sind dies bloß einfache Ansprüche, einfache Wünsche, einfache Freuden. Aber Ute Großmanns Keramiken und Michael Hofmanns Holzschnitte strahlen das altmodische Gefühl von Heiterkeit aus – und wenn heute alles geht, dann geht gewiss auch das!