Fräulein E. - Frau im Garten - Tor - die drei auf der Einladungskarte abbgebildeten Arbeiten von Dorothea Fuhrmann, Cornelia Weihe und Katrin Röder stehen gleichberechtigt und spannungsvoll nebeneinander. Malerei - Skulptur - Collage - drei Hallenser Künstlerinnen stellen zusammen ihre neuen Arbeiten aus. Alle drei haben zu unterschiedlichen Zeiten an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle studiert.
Dorothea Fuhrmann, die von 1977 bis 1990 einen Lehrauftrag im Rahmen der Grundlagenausbildung an dieser Kunstschule wahrnahm, stellt in dieser Ausstellung zwei Bereiche ihres Schaffens vor: den Menschen mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten sowie architektonische Kompositionen. Durchgängig handelt es sich um Mischtechniken auf Karton. Ihre Darstellungen menschlicher Physiognomien beruhen auf Beobachtungen, die manchmal vor Ort, zumeist aber erst im Atelier notiert werden. Das Sich-Unbeobachtet-Glauben bedingt einen psychischen Ausdruck, der mehr über den seelischen Zustand eines Menschen aussagen kann als Worte. Die Dargestellten sitzen ihr nicht Modell, das Anliegen Dorothea Fuhrmanns ist nicht das Porträt. Zumeist wird nur eine Person, seltener ein Paar dargestellt.
Mittels Konzentration auf das Wesentliche eines Eindruckes versucht sie, seelische Zustände exemplarisch darzustellen. Die Folge ist ein gewisses Maß an Verallgemeinerung, das ein Wiedererkennen konkreter Personen suggeriert, weil dem Betrachter der dargestellte Charakter bekannt vorkommt. Titel wie Fräulein E. und Frau K. unterstützen dieses vermeintliche Erkennen. Bildtitel sind der Künstlerin nicht wichtig. Sie, so der Wunsch Dorothea Fuhrmanns, sollen dem Betrachter möglichst wenige Assoziationen vorgeben. Titel wie Versunkenheit oder Meditation entfernen sich von diesem Grundsatz.
Anliegen Dorothea Fuhrmanns ist der Versuch, mit reduzierten bildnerischen Mitteln zu arbeiten, auszuprobieren, welche Ausdrucksmöglichkeiten Linien und Flächen in Bezug auf die Darstellung psychischer Zustände ermöglichen. Es handelt sich um einen Prozess der Entscheidung, der Auslese, was wirklich nötig sei, um einen beabsichtigten Ausdruck zu erreichen. Dorothea Fuhrmann versucht, zu erfassen, wie weit sie für sich die Kunst des Weglassens treiben kann. Nach anfänglicher Konzentration auf den Kopf, gerät ihr nun allmählich auch der Gesamtausdruck des menschlichen Körpers in den Blick.
Der zweite hier von der Künstlerin vorgestellte Bereich ihres Schaffens umfasst Architekturstücke, die einen unterschiedlichen Grad von Abstraktion zeigen. Ausgehend von den vor Ort gemachten Skizzen wird die Arbeit im Atelier fortgesetzt. Häufig wird aber auch nach den im Gedächtnis gespeicherten Eindrücken gearbeitet. Während in den Bleistift- oder Kreideskizzen der konkrete Ort noch genau erkennbar ist und Räumlichkeit mittels Schraffuren erzeugt wird, löst sich die Architektur in den Mischtechniken in verschiedenen Maßen bis hin zur völligen Abstraktion auf: Im Blatt In Halle - am Jägerplatz stehen großzügige farbig-graue Flächen nebeneinander. Die Ableitung der Komposition von der Architektur ist noch erkennbar. Dagegen tritt diese in der Arbeit Zeichen an der Wand vollständig zurück. Übrig bleibt ein in differenzierten Brauntönen gehaltenes Arrangement kleiner, meist viereckiger Flächen, vereinzelt durch Linien, braune oder weiße Winkel betont. Dass diesem Blatt eine konkrete Architektur zugrundeliegt, ist nicht mehr von Bedeutung. Im Gegenteil: Weitere Assoziationen sind möglich.
Dorothea Fuhrmann legt Wert auf die Qualität der Oberflächen, die nach ihren Worten atmen müssen. Sie sind in sich strukturiert, dünne Lasuren sind übereinander geschichtet, die Farbigkeit ist zurückhaltend, differenzierte Braun- und Grautöne dominieren, Nuancen von Hell und Dunkel strukturieren die Blätter. Die Blätter Dorothea Fuhrmanns entstehen aus einer inneren Stimmung, werden im Verlaufe der Arbeit aber von den dabei entstehenden Eindrücken der Oberfläche neu beeinflusst. Die Künstlerin arbeitet spontan und mit einer großen Offenheit für das Ergebnis. Charakteristisch für sie ist die Spannung zwischen Realität und Abstraktion, zwischen der Loslösung von dem Gesehenen, das aber trotzdem Bedingung für die Abstraktion bleibt. Dorothea Fuhrmann ist fasziniert davon, wie wenig Mittel für die Darstellung menschlichen Ausdrucks nötig sind.
In offensichtlichem Gegensatz zu dieser künstlerischen Auffassung stehen die Collagen Katrin Röders, die von 1990 bis 2000 in der Fachrichtung Textil im Studiengang Malerei / Grafik an der Burg Giebichenstein sowie am Goldsmith’s College der Londoner Universität studierte und seitdem freiberuflich arbeitet. Katrin Röder stellt in dieser Ausstellung Arbeiten vor, die in den letzten Monaten entstanden sind. Bei diesen zumeist kleinformatigen Collagen handelt es sich nur um einem Bereich ihrer künstlerischen Produktion, die auch die Arbeit mit textilen Materialien und die Herstellung von Papieren aus Fasern diverser Pflanzen umfasst. Im Gegensatz zu ihren früheren, oft sehr puristischen Collagen aus einigen wenigen, selbst gefärbten Naturmaterialien schwelgt die Künstlerin hier in einer unendlichen Fülle aus Mustern, Papieren, Strukturen. Die kleinen, kostbaren Formate eröffnen eine üppige Welt der Formen und Farben, die den Betrachter unweigerlich in ihren Bann zieht. Inspiriert vom Material und durch den Arbeitsprozess selbst, der immer neue Ideen hervorbringt, ist die Arbeitsweise Katrin Röders von Spontanität und Lust geprägt. Die Anregung für eine Collage ergibt sich oft aus einem einzigen Stück Papier, einem Stoffrest, der ihre Kombinationsfreude aktiviert.
Katrin Röder liebt die „Reihung und die Wiederholung“, „die Vielfalt im Gleichen, die wie das Leben selbst ist“. Sie ist eine Sammlerin, ausgestattet mit einem Sinn für das Skurrile, Witzige, Schöne und Absurde von winzigsten Fundstücken. Aus dem zufälligen Finden hat sich mittlerweile eine Strategie des Suchens entwickelt, die aus ihr eine Auftraggeberin für notorische Flohmarktbesucher werden ließ. Die Dinge finden ihren Weg zu ihr über zweite oder dritte Hände.
Neben der Unzahl nicht näher zu definierender Papiere und Stoffreste finden sich in ihren Arbeiten eng mit Notizen bedeckte Zettel längst verstorbener Personen, alte Postkarten und Stammbuchbilder, Telefonkarten, Deckel von Kaffeesahneportiönchen und Teile alter Zigarrettenschachteln. Dazu immer wieder Briefmarken, Briefmarken, Briefmarken - aus aller Herren Länder. Katrin Röder hat beim Anblick dieser Materialien das Gefühl, Stücke wiederzuentdecken, die sie schon immer liebte und erst jetzt in den richtigen Zusammenhang bringt. Es sind ihre ganz persönlichen Schätze, die sie hier zur Schau stellt - „Schatzbriefe“ wie sie die Miniaturen nennt.
Katrin Röders Thema ist kein inhaltlich zu benennendes. Ihr Thema sind die Strukturen, Farben und Formen, die „Reichhaltigkeit einer bestimmten Gegebenheit“. Was sich nicht finden lässt, wird gemalt, zusammengeklebt oder mit der Maschine gestickt.
Die Zebras, der Papagei aus Trinadad neben einer Biene aus Schweden, Richard Grotsch, Getreide-Geschäft, Hettstedt (Südharz), Deutsche Wertarbeit, Khedive Exquisit Orientmischung Gleichwertig echt egyptische Zigaretten in Deutschland hergestellt extra mild hoch aromatisch wohlbekömmlich, Koh-i-noor Druckknöpfe werden durch ein patentiertes Verfahren Stück für Stück aussortiert, daher tadelloses Funktionieren eines jeden Knopfes garantiert. Liberté, egalité, fraternité. Vereinzelt dazwischen ein Pärchen in europäischer Empire-Kleidung auf einer Briefmarke aus einem arabischen Staat, Fische, Schmetterlinge, Kamele, wunderschöne türkische Fliesen mit dem Tulpenmotiv, die Tulpe auf Stoff, immer wieder Rosen, Hände, Engel, Dürer, Botticelli, Giorgione, Raffael, Herzen und immer wieder die Queen. Die Tier- und Pflanzenwelt entfernter Länder verbindet sich mit Überbleibseln aus der Zeit unserer Großeltern. Es ist eine Welt zum Eintauchen, man kann sich darin verlieren, sie macht süchtig.
Der Fabulierlust Katrin Röders sind ironische und surrealistische Elemente eigen. Dinge prallen aufeinander, die nicht zusammengehören. Da ist ein vielleicht anarchistisches Moment am Werk. Die Vielzahl der Elemente wird gebändigt durch ihre Anordnung. Oft bildet ein einfarbiges bzw. zart in sich gemustertes Blatt oder eine größere Gruppe von Briefmarken den Fond, auf dem die kleineren Elemente um die Bildmitte gruppiert sind.
Häufig steckt Witz in den Arbeiten, aber beileibe nicht nur. Einige der Postkarten sind zum Teil sehr malerisch hinterlegt bzw. sogar fast ausschließlich gemalt. Ein frischer, himmelblauer Gouachegrund ist so gekratzt, dass die darunterliegende rote Farbe hervortritt. Eine kleine Karte zeigt eine wunderbare Komposition in Blau- und Grüntönen, zwei rosa Farbflecken, Blüten gleich, schwimmen darin. Auf einer anderen Karte scheint ein Feuerregen niederzusprühen.
In diesen kleinen Malereien zeigt sich eine Kraft, die ahnen lässt, dass Katrin Röder nach der intensiven Beschäftigung mit dem kleinen Format auch wieder zu großformatigen Arbeiten zurückkehren wird. Die Miniatur wurde - so scheint es - bis zum Höhepunkt exzessiv ausgelebt, an dem wohl keine Steigerung mehr möglich ist.
Handelte es sich bei den Arbeiten der beiden genannten Künstlerinnen um zweidimensionale Werke, so stellt Cornelia Weihe, Metallgestalterin und Malerin, hier ausschließlich plastische Arbeiten vor, die alle in den letzten Wochen entstanden sind. Cornelia Weihe, seit 1990 künstlerische Mitarbeiterin der Fachrichtung Metall im Studiengang Plastik an der Burg Giebichenstein und in diesem Semester vertretungsweise die Professur wahrnehmend, arbeitet völlig frei von modischen Tendenzen mit Konsequenz und Souveränität.
Mit den hier ausgestellten Arbeiten gibt Cornelia Weihe ihrer Produktion eine neue Richtung. Die im Außenraum aufgestellte Dreiergruppe Wachstum führt erstmals pflanzliche Motive in ihre Arbeit ein. Eine liegende sowie zwei stehende Figuren sind - ihrer Größe und dem schweren Material zum Trotz - von erstaunlicher Leichtigkeit. Es ist, als triebe ein Samen, eine Zwiebel Keime aus. Es erscheint zunächst unvorstellbar, dass selbst die körperliche Schwerstarbeit an der Stahlplastik Spontanität ermöglicht. Winzige Details geben den Formen ihre Leichtigkeit: So die an einer Ecke leicht hochgezogene Bodenplatte bzw. „Schulter“.
Den Plastiken ist eine große Energie eigen. Sie nehmen Bewegungen auf, führen sie weiter, leiten sie schließlich ab: von unten nach oben und entlang eines geöffneten Kreisverlaufs. Ausgehend von der Idee, einen Ring, eine liegende und eine stehende Säule zu bauen, um ursprüngliche Zeichen darzustellen, empfand die Künstlerin diese Darstellungsweise schließlich als zu piktoral, zu wenig malerisch. Sie öffnete den Ring und kippte das Stehende, das sich nun gabelt und förmlich treibt. Die Kreisform scheint zu schweben, die stählernen Formen atmen und bewegen sich. Das Ergebnis sind monumentale Arbeiten von ruhiger, konzentrierter Strahlkraft.
In der Folge der Gruppe Wachstum entstand die kleinere Gruppe Sammlung, bestehend aus fünf Arbeiten, die ebenfalls wieder pflanzliche bzw. amöbenhafte Formen aufgreifen, organische Formen, die an Bekanntes erinnern. Für diese Arbeiten war nicht mehr der Bau eines Modells nötig, sondern eine Skizze genügte für die Umsetzung der Idee. Cornelia Weihe produziert ihre Plastiken bis heute - unabhängig von deren Größe - immer selbst, gibt sie nicht zur Ausführung in die Hände Zweiter. Damit behält sie sich die Gesamtgestaltung bis in das Detail vor.
Dieses Prinzip durchbrach sie jetzt erstmals für die Produktion der kleinen figürlichen Szenen, die nach den Vorlagen ihrer Mischtechniken auf Papier entstanden, in denen sie sich bisher ausschließlich mit seelischen Zuständen des Menschen auseinandersetzte. In diesen kleineren Arbeiten verbindet Cornelia Weihe nun erstmals konsequent den Stil und die Thematik ihrer Zeichnungen mit dem Stahl, dessen materialimmanenter Widerstand von ihr als wohltuend empfunden wird.
Sind die Figuren in ihren Zeichnungen von kräftigen Farbflächen umfasst, scheinen sie sich als Plastik aus diesem Eingespannt-Sein zu befreien. Umgeben vom offenen Raum emanzipieren sie sich von den ihnen oft eingeschriebenen Ängsten. Die Intensität und Innerlichkeit bleibt ihnen erhalten.
Die einzige hier vertretene ältere Arbeit, Poseidon von 1998, hat für die Künstlerin ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren. Die in ihr eingefangene gegenläufige Bewegung, die im Ausklingen noch einmal einen starken Schub auslöst, erweckt bei Cornelia Weihe noch immer den Wunsch, diese Plastik in angemessener Größe auszuführen.
Cornelia Weihe verwendet mit Vorliebe Stahl, dessen rostrote Oberfläche von ihr gezielt bearbeitet wird und dessen Patina eine lebendige, sinnliche Ausstrahlung hat. Der Rost kommt für sie mit seinen Qualitäten denen der Zeichnungen nahe, er ist ähnlich unmittelbar. Das von ihr verwendete Material soll so wenig wie möglich Schmuckcharakter haben, sondern rau, fast wie ein Stück Natur wirken.
Die Arbeiten von Dorothea Fuhrmann, Katrin Röder und Cornelia Weihe setzen sich stark voneinander ab. Sie führen Ihnen drei unterschiedliche künstlerische Auffassungen vor Augen, deren jede mit großer Konsequenz verfolgt wird. Diese Konsequenz ist allen drei Künstlerinnen eigen - eine Beharrlichkeit, die jenseits der Moden das sinnlich Erlebbare, das Unmittelbare und das Schöne in der Kunst nicht aufgeben will.