Sie heute zu eröffnende Ausstellung präsentiert Schmuck von zwei Absolventinnen der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design Halle: Beate Eismann und Silke Trekel, die beide in Halle tätig sind. Ich denke, dass sie mehr als das Studium und die gemeinsame Werkstatt verbindet. Beide Künstlerinnen verfolgen einen konzeptionellen Ansatz und bearbeiten unter anderem Fragestellungen, die weit über das Übliche der Schmuckgestaltung hinausgehen: den Untergang eines Industriedenkmals die eine, das historische Bild einer Stadt die andere. Beate Eismann und Silke Trekel verfügen dabei über eine Spannweite künstlerischer Techniken, die sie gezielt zur Umsetzung ihrer Ideen in Schmuck einsetzen und weiterentwickeln. Die Künstlerinnen stellen hier einen Ausschnitt aus ihrem Schaffen vor, der repräsentativ für ihr Werk ist und ahnen lässt, welches Potential den beiden Schmuckgestalterinnen eigen ist.
Beate Eismann, die nach einem mehrjährigen Studienaufenthalt in Mexiko und einem sich daran anschließenden Lehrauftrag an der Staatlichen Zeichenakademie Hanau seit 2000 als künstlerische Assistentin im Fachbereich Schmuck an der Burg Giebichenstein unterrichtet, konzentriert sich in dieser Ausstellung auf ein einziges Thema, mit dem sie sich in den letzten Jahren mit Hartnäckigkeit und Ausdauer beschäftigt hat: Der Koloss des Kraftwerks Vockerode, ein Dinosaurier der Energieerzeugung, hat seit der Abschaltung 1994 immer wieder Künstler beschäftigt. Die funktionalistische Ästhetik des Baues ist nüchtern, aus der Reihung und Kombination der verschiedenen Elemente ergeben sich jedoch unbeabsichtigte Muster von großem Reiz. Seien es die Betonpfeiler einer Maschinenhalle - sie wurde bereits als „industrielles Stonehenge“ apostrophiert -, das geordnete Chaos der Stahlträger, Treppen und Geländer oder endlosen Mäander der Rohrleitungen, die noch das Dorfbild von Vockerode prägen: Das Angebot an Formen und Strukturen ist überwältigend.
Sich damit mittels plastischer Arbeiten, Environments, Installationen, Filmen und Fotografien auseinanderzusetzen, erscheint einleuchtend.
Ungewöhnlich mutet hingegen die Idee an, die Problematik eines technischen Monuments und seiner schrittweisen Zerstörung in Schmuckstücken zu reflektieren. Beate Eismann hat sich diesem Wagnis unterzogen. Auch sie hat - den Film quasi als Skizzenbuch nutzend - in Vockerode fotografiert, aber diese Aufnahmen stehen in enger Beziehung zu ihrem Schmuck. Sie sucht diesen Ort auf, um seine Veränderungen zu dokumentieren. Von besonderem Reiz ist für sie dabei die puristische Ästhetik der Industrieanlage: Sowohl die Architektur als auch die darin verbliebenen Reste technischer Installationen regen sie zur Auseinandersetzung an, wobei die gewonnenen Eindrücke - unbewußt wie bewußt - im Schmuck verarbeitet werden.
Damit verfolgt die Künstlerin eine Arbeitsweise, die für die Schmuckgestaltung nicht gerade typisch ist: Beate Eismann arbeitet an einem längerfristigen, konzeptionell angelegten Projekt, das wiederum von unerwarteten Entdeckungen und spontanen Einfällen beeinflusst wird. Anders als bei der „reinen“ Konzeptkunst, bei der die Idee mitunter das einzig tragende Element ist, muss bei der Gestaltung von Schmuck jedes einzelne Stück überzeugen.
Technische Formen - zumal noch solche aus der Ära der zweiten wissenschaftlich-technischen Revolution - betonen oft das Ebenmäßige, Geordnete, Stetige. Erst ihre Zerstörung bringt wieder ungeordnete, „organische“ Formverläufe wie verbogene Rohrleitungen und Stahlstreben, lose herunterhängende Kabel hervor. Auch wenn bei diesem Thema in Beate Eismanns Schaffen der technische Charakter dominiert, sind in ihrem Schmuck beide Tendenzen gegenwärtig: Technoid-regelmäßige Reihungen stehen neben freien Formen. Folgerichtig reicht die Spannweite der Techniken, mit denen sie ihre künstlerischen Absichten verfolgt, vom Wachsausschmelzverfahren bis zur Montage industriell vorgefertigter Teile. Für viele Ketten werden Idee und bestimmendes Formelement vor der Arbeit theoretisch entwickelt. Mit der Reihung eines einzelnen Elements, unterbrochen von wenigen Akzenten, reduziert Beate Eismann das Formvokabular und vermittelt Ruhe und Klarheit.
Im Gegensatz dazu wirken die mit Wachs modellierten Formen spontaner und lebhafter. Gleichzeitig mit dem Arbeitsprozess entwickelt sich hier die dem Schmuck zugrunde liegende Idee. Beate Eismann arbeitet mit verschiedenen Metallen: Silber, Gold, Blei, Kupfer, Aluminium und Eisen. Diese Metallfarben werden von ihr sparsam mit farbigen Steinen oder Email kombiniert. Es ist längeres Betrachten nötig, um die zurückhaltende Verspieltheit in den zunächst herb wirkenden Formen zu erkennen. Die Schmuckstücke der Künstlerin spiegeln deformierte und brüchige Strukturen, die die Künstlerin in Vockerode entdeckt. Sie machen die Demontage einer einstmals festgefügten Welt anschaulich - viel konkreter, als es auf den ersten Blick scheint.
Dass Schmuck in der Lage ist, ohne den Einsatz realistischer Mittel auf gesellschaftspolitische Probleme einer Region hinzuweisen, ist erstaunlich. Möglich wird dies allerdings nur durch das nötige Kontextwissen: Der Betrachter muss die Titel der Schmuckstücke kennen, und er muss wissen, was sich hinter der Chiffre „Vockerode“, die für die gesamte Werkgruppe gilt, verbirgt. Aber natürlich lassen sich diese Arbeiten auch ohne Hintergrundwissen als das erfassen, was sie primär sind: Nämlich als Schmuckstücke, die im längeren Umgang erst ihre eigenwillige Schönheit entfalten und deutlich machen, dass Schönheit heutzutage auch möglich ist, wenn sie ihre problematische Kehrseite mit zur Schau stellt.
Die hier vorgestellten Arbeiten Silke Trekels, die im Anschluss an ein Graduiertenstipendium des Landes Sachsen-Anhalt seit 1998 freiberuflich in Halle tätig ist, stellen drei, für das jüngste künstlerische Werk entscheidende Gruppen vor: Getriebener Halsschmuck, im Wachsauschmelzverfahren produzierter Ansteckschmuck und Ringe sowie ihre Arbeiten aus Balsaholz.
Die größte Gruppe bildet der zumeist aus dünnen Silberblechen getriebene Halsschmuck, dessen Urform das sogenannte „Paar“ bildet. In dieser schlichten Kette ist eine Form zweimal ausgeführt und miteinander kombiniert worden. Ein kissenartiges, gleichzeitig weich und straff wirkendes Quadrat wurde aus einem Silberblech getrieben. Die beiden Hohlformen wurden neben einem dünnen Silberrohr, das den Abstand voneinander vorgibt, einmal konkav und einmal konvex montiert. Diesen Halsschmuck weiter entwickelnd, wurden in einem nächsten Schritt die hohlen Innenseiten lose miteinander befestigt. Die beiden beweglichen Anhänger bilden nun einen sich öffnenden und schließenden Raum, der etwas Imaginäres bewahren kann, das der Trägerin wesentlich ist. Ausgehend von diesem Halsschmuck spielte Silke Trekel alle ihr reizvoll erscheinenden Varianten des Themas mit großer Konsequenz durch. Die getriebenen Silberbleche werden ausschließlich durch Falten, Knicken und Einschneiden in ihre Form gebracht - ein irreversibler Zustand. Mancher Halsschmuck verfügt über eine eindeutige Vorderseite - die mit der Öffnung; viele können von beiden Seiten getragen werden. Die einfache, auf das Wesentliche konzentrierte Form eines Quadrates auf einem Quadrat - man ist fast an Malewitschs weißes Quadrat erinnert - wird auch mit den von ihr so genannten gefalteten Päckchen kombiniert und zumeist von glatten, roten Schnüren gehalten - farbige Akzente, die von Silke Trekel mit Liebe zum Detail ausgewählt und verarbeitet werden. Auch die funktionalen, oftmals gar nicht sichtbaren Details eines Schmuckes müssen die Künstlerin ästhetisch befriedigen. Für ihre Schnüre verwendet sie diverse Seemannsknoten, die sie sich zu diesem Zwecke aneignete.
Dieses Quäntchen Rot stellt ebenso wie die kissenartige Form eine Verbindung zu dem einzig von Silke Trekel aus Balsaholz gefertigten Schmuck her. Den während ihres Studienaufenthaltes in Singapore 1994 / 95 entdeckten Rotton kombiniert sie ausschließlich mit Schwarz, einer Farbe, in der sich für die Künstlerin ihre Ankunft im europäischen April ausdrückt. Die Stofflichkeit des Balsaholzes ist als solche nicht von Bedeutung. Entscheidend ist nur die Tatsache, dass es ermöglicht, sehr großflächigen aber dabei äußerst leichten und farbigen Schmuck herzustellen.
Am Anfang steht ein von ihr 1997 im Rahmen ihres Diploms zum Thema „Ornament als Prinzip“ entwickelter Halsschmuck, der durch seine Formen, Farben, Ornamente sowie die verwendeten Schnüre die in Asien gewonnenen Eindrücke in sich davon emanzipierender Form verarbeitet. In der Folge entwickelt Silke Trekel eine Vielzahl von Winkel- und Dachformen, die in erster Linie als Ansteckschmuck verarbeitet werden. Die Quantität der Ornamente gibt dem Schmuck einen durchaus spielerischen Charakter. Beabsichtigte Unregelmäßigkeiten wie das Fortführen der Farbe über eine Kante hinweg durchbrechen die Ordnung der klaren Formen.
Aus ihrem Interesse an klaren kubischen Formen ergab sich auch die dritte der hier vorgestellten Werkgruppen: Die Entwicklung eines für Halle repräsentativen Schmuckstückes - eine Aufgabe, der sich im Übrigen auch Beate Eismann gewidmet hat. Silke Trekel entwickelte ausgehend von dem halleschen Stadtplan von Gottfried Olearius’ „Halygraphia“ (1667), der die Straßenzüge und Quartiere aus einer imaginierten Vogelperspektive heraus zeigt, silbernen Ansteckschmuck - der Endpunkt einer Reihe von Abstraktionen, der sich dem Ausgangspunkt wieder annähert: Der Entwerfer des Stadtplans mußte von den konkreten Häusern abstrahieren, um sie mit wenigen Strichen zeichnen zu können. Die Zeichnung wurde - als Druck reproduziert - Teil eines Buches. Silke Trekel schließlich löste aus diesem Plan „Quartiere“ heraus und transformiert sie in Schmuck: Aus Elementen eines reproduzierten Werks werden wieder individuell verschiedene Einzelstücke, so wie es die abgebildeten Häuser einstmals waren. Dabei zeigt der Plan - anders als heutige Stadtpläne - vor allem die Dächer der Häuser. Ihre Formen verbinden sich in der Vorstellungswelt der Künstlerin mit den Kristallen des für Halle namengebenden Salzes. Dieser Assoziation folgt auch die Technik der Schmuckstücke: Die Wachsmodelle sind nicht modelliert, sondern aus kantigen Wachsplatten geschnitten und zusammengesetzt. Die kristalline Struktur der Güsse gibt dem Gedanken augenfällige Gestalt.
Beate Eismann und Silke Trekel sind Schmuckgestalterinnnen, die sich mit dankenswerter Bereitschaft und Offenheit über ihre künstlerische Arbeit äußern. Sie arbeiten mit großer Konsequenz an den von ihnen entwickelnden Ideen bis zu dem Moment, in dem sie eine Thematik als vorerst erschöpft erleben. Beide verarbeiten Eindrücke einer spannungsreichen Umwelt konzeptionell in Werkgruppen, die weit über die reine Schmuckfunktion hinausgehen. Ihr in jedem Fall tragbarer Schmuck erzeugt einen Ausnahmezustand, der die normalen Bewegungsabläufe seiner Trägerinnen nicht behindert, aber über das Schmückende hinaus auf einen gesellschaftlichen Kontext verweist.